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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt
Autoren: C Westendorf
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der Schicht auf dem Gemüsegroßmarkt hatte ihn sein erster Weg zurück in Esthers Wohnung geführt, aber sie war nicht da gewesen. Er hatte mehrfach vergeblich ihre Handynummer gewählt, sie jedoch nicht erreicht. Jetzt tat sich gar nichts mehr, die Leitung war tot.
    „Was soll ich bloß alleine vor Gericht“, sagte Olaf zu sich. „Walter ist ohne sie aufgeschmissen. Mal sehen, ob ihr Mann etwas weiß.“
    Olaf begann, dessen Nummer zu wählen, doch als er bei der letzten Zahl angelangt war, legte er auf. Er nahm seine Lederjacke vom Stuhl und lief los.
    Wenig später klingelte er an der Tür des Lüdersen’schen Anwesens.
    „Ich möchte Ihre Frau sprechen.“
    Alfons Lüdersen musterte den ungebetenen Besucher abfällig. „Ich auch. Esthers Liebe zu Leuten Ihres Schlages in allen Ehren, aber zwischendurch könnte sie auch mal nach Hause kommen und sich ein wenig um mich kümmern.“
    „Ja, haben Sie ihre Nachricht etwa nicht gekriegt? Ich denke, Sie wollten sie abholen.“
    „Moment mal.“ Lüdersen schaute, die neugierigen Blicke der Nachbarn fürchtend, um sich und bat Olaf Maas schnell herein. „Was reden Sie da?“
    „Esther hat mich letzte Nacht angerufen und etwas von einem Autounfall erzählt. Sie hat doch bei Ihnen aufs Band gesprochen.“
    „Ich bin früh zu Bett gegangen, mich hat niemand angerufen.“
    Er untersuchte den Anrufbeantworter.
    „Die Kassette fehlt. Wenn ihr nur nichts passiert ist. Warum muss sie auch ständig versuchen, Leuten wie Ihnen wieder auf die Beine zu helfen. Wie oft habe ich ihr gesagt, lass die Finger von dem Pack, das am Hauptbahnhof herumlungert.“
    Alfons Lüdersen machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in sein Arbeitszimmer. Mistkerl, dachte Olaf, schließlich wusste er am besten, wovon hier gesprochen wurde. Olaf Maas kannte sich aus, er war selbst ein Teil des Packs gewesen. Wie kam Lüdersen überhaupt dazu, diese Leute zu verdächtigen? Alle waren sie froh, dass Esther sich für sie verantwortlich fühlte.
    Das war nicht immer so gewesen. Am Anfang hatte Olaf sie für eine reiche Ziege gehalten; gelangweilt von ihrem Leben, in dem es nichts wirklich Wichtiges gab.
    „Die is’ am Missionieren, passt bloß auf“, hatte er zu den anderen gesagt. Er hatte sich geirrt. Esther hatte nicht viel über sich gesprochen, aber er hatte ihre große Wut auf die Kreise gespürt, denen sie entstammte.
    „Leute, die sich nur um sich selbst drehen. Ein bisschen Charity veranstalten, kurz vor Weihnachten, und sich anschließend den guten Menschen ans Revers heften. Goldene Nadeln, wie hübsch.“
    Esther hatte eine Wut auf Hamburg, auf ihre Stadt. Die Stadt, in der sich Millionäre tummelten. „Reiche Pfeffersäcke“, wie sie sie nannte.
    Da gab es Erben traditionsreicher Kaufmannsdynastien und Gewinner des Neuen Marktes, Verleger, Werbeleute, Produzenten. Jede Menge Geld.
    „Die Armut ist Hamburg zu nah gekommen“, hatte Esther oft gewettert. „Damen im Pelzmantel stolpern bei ihren Einkäufen am Neuen Wall über Obdachlose, und die Behörden sprechen Platzverweise für ihre Prachtstraßen aus oder karren das Pack in die Vorstädte.“
    Dahin, wo sie den Touristen nicht auf den ersten Blick den Appetit auf dieses sagenhafte Tor zur Welt verdarben. Und dass sie das tun mussten, war schließlich auch eine Überlebensfrage.
    „Was wäre Hamburg ohne Tourismus? Wer soll da noch anständig verdienen?“, hatte Esther mit bitterem Lächeln den Leserbrief eines Händlers vom Jungfernstieg zitiert.

2
    Atemlos, die Sonne auf der Haut. Immer einen Schritt schneller sein als der Gegner. Spüren, wie der Schweiß den Rücken hinunterrinnt. Da, der Pass, ein letzter Sprint, dann war Jan am Zug. Lief vor das Tor, jetzt musste er schießen. Doch er verzögerte, wechselte die Ecke, im letzten Moment erst zog er ab, unhaltbar ins linke obere Eck. Der Torwart streckte sich vergeblich, sah dem Ball hinterher ... ein wunderbarer Schuss!
    Dieser kurze Augenblick der Stille, bevor der Jubel von den Rängen losbrechen würde, war mit nichts zu vergleichen. Jan lupfte sein Trikot über den Kopf, wofür er vom Schiedsrichter die Gelbe Karte bekam. Dann lief er in Richtung Fankurve und führte ein brasilianisch anmutendes Tänzchen mit der Eckfahne auf, bevor sein Freund David ihn von den Beinen riss.
    „Klasse, Alter!“
    Über sich ein Gewirr von Körpern, Hände, die nach ihm griffen. Jan hatte Mühe zu atmen. Das Gewicht der Mannschaftskameraden drückte schwer auf seine Brust,
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