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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt
Autoren: C Westendorf
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aushalten, aber die Vorstellung, in dieser demütigenden Haltung von einem fremden Mann beobachtet zu werden, war ihr unerträglich.
    Nun fesselte der Große sie wieder und schloss die Tür zum Nebenraum. Esther war stolz auf sich, sie hatte einen Keim gesät, vielleicht würde er aufgehen. Dann könnte sie Alfons ein Zeichen schicken, den Rest würde er erledigen. Alfons – wie sehr sie ihn vermisste. Auch wenn er ihre Stärke nie gemocht hatte. Manchmal glaubte Esther, ihm wäre es lieber gewesen, sie wäre noch immer das schüchterne Mädchen, das er beschützen könnte. Das große Nichts in der schönen Schokoladenverpackung. Ihr Engagement für die Obdachlosen verärgerte ihn auf jeden Fall. Vielleicht weil ihre Aufmerksamkeit nun nicht mehr ausschließlich ihm galt. Als Esther sich vor einem Jahr eine kleine Wohnung direkt in der Stadt gemietet hatte, war seine spöttische Frage gewesen: „Ist unser Haus nicht groß genug?“
    „Ich brauche einen Lagerraum für all die Sachen, Alfons“, hatte sie geantwortet. „Und eine Übernachtungsmöglichkeit.“
    Er hatte nur die Schultern gezuckt und war in sein Büro gefahren.
    Ja, Esther hatte sich befreit, vor vielen Jahren schon. Das große Nichts war verschwunden und mit ihm die vielen Weinflaschen, die sie hatte leer trinken müssen, als ginge es um ihr Leben. Heute war sie stark und glücklich. Auch wenn das Zusammensein mit Alfons seine Tiefe verloren hatte, glaubte sie doch daran, dass er eines Tages gelernt haben würde, sie so zu lieben, wie sie war. Stark und glücklich. Sie musste nur hier herauskommen. Vielleicht sollte dieser Keller eine weitere Prüfung sein auf ihrem Weg. Aber sie würde sich aus diesem Loch befreien und dann endlich mit Alfons leben, wieder seine zärtlichen Hände spüren. Genauso wie früher.
    „Alex, glaubst du, die Alte ist reich?“
    George war an den Tisch zurückgekehrt, auf dem die Spielkarten noch unverändert mit dem Rücken nach oben lagen.
    „Kann schon sein, warum?“ Alexander musterte ihn aufmerksam.
    „Ich frage mich, wofür man sie bestrafen will.“
    „George, du wirst hier nicht fürs Denken bezahlt, vergiss es und mach deinen Job. Ist sowieso bald vorbei.“
    „Was heißt das? Sie sollte doch erst mal ein paar Tage hier bleiben, und dann lassen wir sie laufen, hast du gesagt. Du hast etwas von einem Denkzettel gesagt.“
    „Der Auftraggeber hat seine Pläne geändert, es wird nicht mehr lange dauern.“
    „Die Frau hat Geld“, sagte George fest. „Sie hat mir doppelte Kohle geboten, wenn wir sie laufen lassen. Wer ist eigentlich unser Auftraggeber?“
    „Da schau her“, entgegnete Alexander zornig, „du hast hinter meinem Rücken mit ihr verhandelt!“
    Er schlug George mit der Faust ins Gesicht, Blut begann aus dessen Nase in Richtung Mund zu laufen.
    „Vergiss niemals, wer hier der Boss ist.“
    George wischte sich mit einem Taschentuch sauber. Er hatte schon oft etwas abbekommen, wenn Alex aus der Haut fuhr, und dieser kleine Schlag war eigentlich nicht der Rede wert. Trotzdem, niemals zuvor hatte sich George so mies behandelt gefühlt wie gerade jetzt.
    „Schon gut, ich wollte nichts ohne dich machen. Aber warum sollten wir nicht versuchen, mehr Geld herauszuholen?“
    „Weil wir Profis sind, Arschloch. Wenn sich herumspricht, dass wir die Opfer laufen lassen, sind wir erledigt.“
    Alex kratzte sich am Kinn, dann tätschelte er Georges Arm und sagte: „Lass mich nur machen.“
    Endlich Wochenende! Anna Greve war in den nächsten Heideort gefahren, um einzukaufen. Der Weg zum Markt führte durch einen Buchenwald, dessen leuchtendes Grün sie fröhlich machte und auf die Farben des Sommers einstimmte. Es war ein klarer Junimorgen. Anna hatte sich nur ein leichtes Leinenkleid übergezogen und war flüchtig mit dem Kamm durch ihre kurzen schwarzen Haare gestrichen, die sowieso fielen, wie sie wollten. Es war viel zu warm, um sich aufzustylen, deshalb trug sie heute auch kein Make-up auf, nicht mal eine getönte Tagescreme.
    Sie pfiff gerade die Melodie eines Sommerhits vom vergangenen Jahr, als ihr Pfeifen von der gegenüberliegenden Straßenseite beantwortet wurde. Drei Bauarbeiter sahen zu ihr herüber, grinsten herausfordernd. Ihre Oberkörper waren nackt, nur einer von ihnen war jedoch so gebaut, dass er sich das leisten konnte. Anna grinste zurück.
    „Na, Jungs.“
    Bevor sie sich umdrehte, hob sie den linken Mittelfinger und streckte ihn den Männern entgegen. Dann stürzte sie sich
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