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Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Titel: Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Autoren: Hans Rath
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die Tasse entgegen, überlege aber zugleich, ob ich es Baumann ein bisschen krummnehmen sollte, dass er mir bis ans Krankenbett gefolgt ist. Ich mag ihn zwar, und er hat irgendwie eine gute Aura. Trotzdem muss ich darauf achten, die professionelle Distanz zu wahren. Ich nehme einen Schluck Kaffee. Tut gut. «Wo sind denn die beiden Alten hin, die hier lagen?»
    «Die hab ich in ein anderes Zimmer verlegen lassen», sagt Baumann.
    Erst jetzt fällt mir auf, dass er sein Clownskostüm gegen einen Arztkittel getauscht hat.
    «Arbeiten Sie etwa hier?», frage ich irritiert.
    Baumann streicht über seine grauen Bartstoppeln. «Nein. Den Kittel hier hab ich nur geliehen.»
    Er sieht mein fragendes Gesicht und fügt hinzu: «Ehrlich gesagt, mache ich das häufiger, dass ich mir … ähm … Dinge leihe.»
    «Sie leihen sich einen Arztkittel und lassen Patienten verlegen?», frage ich mit kritischem Blick.
    Baumann zuckt mit den Schultern. «Wenn mich schon alle hier für den neuen Chefarzt halten, dann kann ich es uns doch auch ein bisschen nett machen, oder? Außerdem schulden die mir was. Immerhin hab ich schon Visite gemacht.»
    «Sie haben … Visite gemacht?», frage ich erschrocken. «Das ist definitiv nicht in Ordnung. Ich hoffe, Sie wissen das.»
    Baumann winkt ab. «Ich hab den Leuten nur Mut zugesprochen. Dafür kommt man ja wohl nicht gleich in den Knast, oder?»
    «Oh. Da wäre ich mir nicht so sicher.»
    «Eigentlich bin ich ja auch nicht der Visite wegen gekommen. Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht. Und ich dachte, nebenbei könnten wir einen Termin für unsere erste Sitzung ausmachen. Hat ja gestern nicht geklappt.»
    «Stimmt.» Mir fällt ein, dass ich heute entlassen werden soll. Wir könnten uns später treffen. «Sie sind nicht zufällig mit dem Auto da, oder?»
    Baumann schüttelt den Kopf. «Ich gehe meistens zu Fuß.»
    Ich überlege, ob ich Baumann um Taxigeld bitten soll. Ich schulde ihm ja ohnehin noch das Frühstück. Allerdings spricht es nicht gerade für eine funktionierende professionelle Distanz, wenn sich ein Psychologe ständig Geld von seinem Patienten pumpt. Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, wird die Tür aufgerissen, und die korpulente Krankenschwester erscheint, diesmal in Begleitung von zwei Polizisten.
    «Das ist er», verkündet sie und zeigt auf Abel, dessen freundliches Lächeln nicht über sein urplötzliches Unbehagen hinwegtäuschen kann.
    «Können Sie sich als Mitarbeiter dieses Krankenhauses ausweisen?», fragt einer der Polizisten in forschem Ton.
    Abel schüttelt den Kopf. «Ich hab den Kittel nur geliehen. Ich wollte ihn gleich wieder zurückgeben …», beginnt er zu erklären, wird aber von dem anderen Polizisten unterbrochen: «Sie müssen mitkommen.»
    Rasch und routiniert haken die beiden Beamten den verdutzten Baumann unter und geleiten ihn zur Tür.
    «Entschuldigen Sie die Störung», sagt einer der beiden zu mir, der andere nickt zustimmend. Abel sieht mich flehentlich an, schweigt aber. Bevor ich etwas sagen kann, sind die Polizisten mit ihm und der Krankenschwester auf dem Gang verschwunden.
    Ich brauche ein paar Schrecksekunden, um zu begreifen, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, Abel Baumann einfach so seinem Schicksal zu überlassen. Er mag noch nicht offiziell mein Patient sein, aber immerhin hat er mich bereits für die erste Sitzung gebucht.
    Entschlossen werfe ich die Decke zurück, springe aus dem Bett und will zur Tür hechten, aber mein Kreislauf kommt nach der langen Ruhephase nicht so schnell auf Touren. Ich falle der Länge nach hin. Glücklicherweise wird dabei ausnahmsweise meine Nase nicht in Mitleidenschaft gezogen. Dafür bin ich nun schlagartig hellwach.
    Als ich den Gang betrete, sind die Polizisten gerade im Begriff, mit Abel im Fahrstuhl zu verschwinden.
    «Moment!», rufe ich. «Warten Sie! Ich komme mit!»
    Die Beamten sehen sich erstaunt an, immerhin stellt sich einer der beiden in die Lichtschranke, um die Fahrstuhltür zu blockieren. Ich eile durch den Krankenhausflur und sehe, dass Baumann erleichtert lächelt.
    «Stehen Sie denn in irgendeiner Beziehung zueinander?» Der Polizist, der die Fahrstuhltür blockiert, sieht mich argwöhnisch an.
    «Herr Baumann ist mein Patient», antworte ich.
    Der Beamte mustert meine ungewaschenen Haare und den schmuddeligen Bademantel. Dann dreht er sich zu Baumann, der mit seinem schneeweißen Kittel problemlos als Koryphäe der Humanmedizin durchgehen
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