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Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Titel: Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Autoren: Hans Rath
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Und zwar zusammen mit unserer Mutter.
    «Florida», wiederhole ich und pfeife anerkennend. «Das ist doch ein Paradies für Rentner, habe ich gehört. Magst du Mutter nicht mitnehmen? Ihr könntet abends am Strand sitzen, Hummer essen und über mich lästern.»
    «Schon klar, dass du mich loswerden willst», erwidert Mutter. «Aber ich bleibe natürlich in Berlin. Erstens würde ich unseren Familiensitz nie im Leben verkaufen, und zweitens kümmert sich eine Mutter immer besonders um jenes Kind, das ihr die größten Sorgen bereitet. Bei Jonas weiß ich, dass er seinen Weg gehen wird. Er ist noch nicht mal vierzig, hat einen guten Job und verdient eine Menge Geld. Es würde mich außerdem nicht wundern, wenn er uns bald eine hübsche Amerikanerin vorstellt …»
    «Mutter, ich habe schon verstanden, dass ich dein Problemkind bin», unterbreche ich. «Aber besten Dank für die vielen verletzenden Details.»
    «Gern geschehen», entgegnet Mutter mit einem eiskalten Lächeln.
    «Deine Befürchtungen sind übrigens unbegründet», fahre ich fort. «Ich komme gut allein zurecht und habe nicht die Absicht, dich um Hilfe zu bitten.»
    Mutter zieht verächtlich Luft durch die Nase. «Du kommst allein zurecht? Da höre ich aber ganz andere Geschichten. Ellen hat mir erzählt, du kannst die Miete nicht bezahlen, weder für das Apartment noch für die Praxis. Außerdem scheinen dir die Patienten nicht gerade die Bude einzurennen.» Sie seufzt bedeutungsvoll. «Ein Glück, dass dein Vater das nicht miterleben muss. Er würde sich ganz bestimmt …»
    Ein energisches, kurzes Klopfen lässt sie verstummen. Dann öffnet eine korpulente Krankenschwester schwungvoll die Tür und verkündet: «Ich bitte jetzt alle Besucher mal kurz auf den Flur. Es dauert nur ein paar Minuten. Vielen Dank!»
    Die Visite erspart mir Mutters Vortrag über all jene Enttäuschungen, die ich meinem Vater glücklicherweise nicht mehr zumuten muss, weil er vor fünf Jahren das Zeitliche gesegnet hat. Man könnte sagen: in weiser Voraussicht. Knapp vor seinem Siebzigsten ereilte ihn ein Herzinfarkt. Kein ungewöhnliches Schicksal für einen ebenso arbeitsbesessenen wie unsportlichen Alkoholiker. Wobei Vaters tägliche halbe Flasche Scotch oder Brandy nie als Alkoholismus bezeichnet werden durfte. Da er ausnahmslos nach 17 Uhr trank und nie Anzeichen eines Rausches zeigte, galten seine acht bis zehn doppelstöckigen harten Drinks am Tag offiziell immer als kultivierte Variante des Feierabendbierchens.
    Routiniert verteilt die Krankenschwester Medikamente. Meine Bettnachbarn bekommen randvolle Tablettenboxen, nach Tageszeiten sortiert. Auf mein Tischchen stellt sie einen kleinen Plastikbecher mit zwei Pillen darin. «Nur ein mittelschweres Schmerzmittel. Reine Vorsichtsmaßnahme, falls Ihnen heute Nacht die Nase weh tun sollte.»
    «Danke», sage ich.
    Sie nickt und zieht mit den Worten «Der Arzt ist auch gleich da» die Tür ins Schloss. Ich kann für den Bruchteil einer Sekunde Mutter sehen, die gerade auf Jonas einredet. Bestimmt schildert sie ihm meine desolaten Lebensumstände und spart nicht mit düsteren Farben und apokalyptischen Wendungen. Seit Vaters Tod muss ich mir regelmäßig von ihr anhören, dass ich als Psychotherapeut und Stütze der Gesellschaft eine herbe Enttäuschung bin. Mutter glaubt, dass ich in Vaters viel zu große Fußstapfen treten wollte. Psychologisch gesehen ist das ein Totschlagargument, weil alle Kinder zunächst einmal in die Fußstapfen ihrer Eltern treten wollen. Die Frage ist nur, ob man dem vorgezeichneten Weg dann später wirklich folgt oder davon abweicht.
    Ich gebe zu, in meinem Fall scheinen die Dinge klar auf der Hand zu liegen. Mein Vater ist der berühmte Psychologe Bartholomäus Jakobi. Sein Buch über die verkaufspsychologische Wirkung der Spektralfarben gilt als Standardwerk und hat ihm zunächst wissenschaftliche Anerkennung eingebracht, dann diverse Gastprofessuren und damit schließlich eine große Villa in Berlin-Zehlendorf. Obwohl Mutter nicht müde wird, das Haus als unseren Familiensitz zu bezeichnen, lebt sie dort seit Jahren allein und weigert sich, zumindest einen Teil des viel zu großen Anwesens unterzuvermieten.
    Erneut wird die Tür geöffnet, und jener schlaksige Typ mit ungesunder Hautfarbe, der sich mir letzte Nacht als Dr. Kessels vorgestellt hat, erscheint.
    «Hallo! Wie geht es Ihnen?»
    Ich zucke mit den Schultern. «Danke. Eigentlich ganz gut.»
    «Das freut mich», sagt er und hustet
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