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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen
Autoren: Eric Malpass
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sah ihn kurz an, zuckte mit den Schultern, schüttelte murmelnd den Kopf und ging weiter.
    Es war ein grauer Tag. Der wässerige Schnee zerfloß zu Pfützen auf dem grauen Pflaster. Und auch die Gesichter der Menschen waren grau und mürrisch. Mit hochgeklapptem Mantelkragen und hochgezogenen Schultern eilten sie an ihm vorbei — Bewohner einer fremden Welt, eines anderen Planeten, wie Ulrike gesagt hatte.
    Hartnäckig suchte er weiter. Aber das Schneetreiben wurde jetzt dichter, und er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Er sah auf seine Uhr. Nur noch wenige Stunden, dann wurde es dunkel. Der Gedanke, bei Einbruch der Dunkelheit noch in diesem Teil der Stadt zu sein, war ihm unbehaglich. Er fühlte sich einsam und verloren. Es hatte keinen Sinn, jetzt noch länger zu suchen. Nein, er wollte jetzt nur noch zurück in die warme Sicherheit seines Hotels.
    Aber er wußte nicht mehr, wo er war. Eine Straße sah wie die andere aus. Er kam sich vor wie in einem Irrgarten.
    Er fing an zu laufen, aber er spürte sofort wieder die warnenden Stiche in der Brustgegend und mußte einen Augenblick stehenbleiben.
    Er sah, wie ein Mann, der an einer Straßenecke stand, plötzlich den Kragen seines Regenmantels hochklappte und ihm folgte. Angst überkam ihn. Er ging wieder schneller, immer schneller. Er wollte weg von hier — zurück zu seinem Planeten.
    Endlich, als er um eine Ecke bog, erblickte er das, was für ihn in diesem einen Augenblick kein Bild des Schreckens, sondern ein geradezu willkommener Anblick war: die Berliner Mauer mit dem Stacheldraht auf dem Beton, mit den Wachtürmen und den Lichtem und den bewaffneten Posten. Und da war auch der hell erleuchtete Checkpoint, die Kontrollstelle, wo diejenigen, die wie er im Besitz der richtigen Papiere waren, von einem zum andern Planeten überwechseln konnten.
     

28
     
    Es war beinahe wie im Fahrstuhl: Steil stieg das Flugzeug aus der Stadt empor. Rüttelnd stieß es durch mehrere Wolkenschichten, eine nach der andern, bis es plötzlich zwischen einem leuchtend blauen Himmel und schneeweißen Wolken schwebte. Der Pilot nahm Kurs auf Westen. Benbow blickte nach unten. Tief unter der Wolkendecke war das Schneegestöber. Und darunter? Phantasie war nie Benbow Dormans starke Seite gewesen, doch jetzt, nach seinem Besuch bei Ulrike, war ihm, als sähe er plötzlich mit neuen Augen. Er sah durch die Wolken und den Schnee hindurch, sah die winterlich grauen Ebenen des geteilten Landes, des geteilten Kontinents. Wie hatte doch jemand gesagt? «Die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert: ein Hollywood-Spektakel, von Wahnsinnigen inszeniert.» Ein Schauerfilm: unbeschreibliches, unendliches Leid, in dem Millionen Statisten, darunter sein Vater, den er nie gekannt hatte, und seine Mutter umgekommen waren.
    Und wofür das alles? dachte er. Als der Erste Weltkrieg zu Ende war, dachte meine Mutter, nun werde für immer Friede auf Erden sein. Und als ich in den Zweiten Weltkrieg zog, dachte ich, mein Krieg werde uns von dem schlimmsten Tyrannen befreien und uns auf immer Frieden bringen. Von dem Tyrannen hat er uns befreit. Und wir haben seither auch Frieden und Wohlstand—aber nur in unserem Teil der Welt und, wer weiß, vielleicht mehr Wohlstand, als uns guttut. Wir haben Wunder vollbracht - sogar eine Landung auf dem Mond.
    Aber die halbe Welt liegt im Schatten. Nur ist es diesmal nicht der Schatten der Nacht. Es ist der Schatten der totalitären Systeme. Und es ist der Schatten des Hungers. Und diese Schatten werden länger, von Tag zu Tag. Der Gedanke daran erfüllte ihn mit Trauer und Angst. Er dachte an die Menschen, die das Lachen verlernt hatten, an Ulrike, die in dieser überschatteten Welt gefangen war.
    Ein Knacken im Lautsprecher, dann die Stimme des Kapitäns: «Wir überfliegen jetzt die englische Küste.» Benbow Dorman blickte hinunter. Zwischen den Wolken sah man in der Tiefe weite grüne Flächen. England, dachte er glücklich. Eigentlich müßten sie jetzt Land of Hope and Glory spielen. So heimatlich war ihm noch nie zumute gewesen, wenn er aus dem Ausland zurückkam, aus Mallorca oder von der Costa Brava...
    Am Flughafen Heathrow wurde gestreikt. Die Passagiere mußten das Flugzeug über eine alte wacklige Gangway verlassen und ihr Gepäck selber zum Flughafengebäude tragen. Dort wurde nach einer angeblich beim Zoll versteckten Bombe gefahndet. Alle liefen eilig und nervös hin und her und bekundeten dennoch englische Gelassenheit. Ein väterlicher Bobby,
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