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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen
Autoren: Eric Malpass
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der in der Halle stand, hörte sich geduldig die Klagen eines verirrten und verwirrten asiatischen Flugpassagiers an und versuchte, ihn zu besänftigen. Benbow Dorman holte sich eine Zeitung am Kiosk. Die Verkäuferin lächelte ihn an. Und er dachte, um all das ist es uns gegangen, all das gehört für uns dazu, und bis jetzt haben wir es uns erhalten können. Wir dürfen nie zulassen, daß es uns genommen wird.
    Erleichtert, fast ungeduldig vor guter Laune, strebte er dem Ausgang zu.
     
    Draußen vor dem Flughafengebäude stieg er in ein Taxi. «St. Pancras Station», sagte er zu dem Taxichauffeur.
    Als er aus dem Fenster blickte und London sah, London im Frühling, das lärmende, geschäftige quicklebendige London, klopfte er an die Trennscheibe und sagte mit einem Ungestüm, das ihm selber fremd war: «Nein, fahren Sie mich bitte zum Cumberland Hotel.» Warum sollte er heute schon nach Ingerby zurückfahren? Niemand wartete dort auf ihn, niemand wollte wissen, wie es ihm ergangen war, niemand freute sich, ihn wiederzusehen. Ich will den Londoner Frühling genießen, sagte er sich. Er fühlte sich so frei wie noch nie zuvor in seinem Leben.
    Er ließ sein Gepäck im Hotel und machte sich gleich wieder auf den Weg: ein etwas korpulenter ehemaliger Bankdirektor, der lange Unterhosen trug und weiße Hemden und tadellos sitzende Anzüge, ein wahrhaftig nicht mehr jugendlicher Liebender, der seine Liebe auf einem anderen Planeten zurückgelassen hatte. Ein unauffälliger friedlicher Mann, dessen Leben von zwei blutigen Kriegen geprägt worden war, ein nüchterner Geschäftsmann, der Gefühle zu meiden versuchte und doch gefangen war in einem Aufruhr von Gefühlen, die ihm immer wieder die Tränen in die Augen trieben.
    Als er nach Mayfair kam, sah er ein Blumengeschäft. Ohne zu wissen, was er vorhatte, ging er in den Laden. «Ich hätte gern einen Strauß Frühlingsblumen - alles, was Sie haben.»
    «Gern, Sir. Wollen Sie eine Karte mitschicken?»
    «Nein, danke, ich lege eine von meinen bei.»
    «Gut, Sir. In einer Stunde, wäre das recht?»
    Er kam zur Park Lane und ging durch die Unterführung hindurch in den Park. Grüne Rasenflächen, blühende Narzissen, Liebespaare... und vor dem strahlenden Frühlingshimmel Monstren, deren Anblick seinen Großeltern einen tödlichen Schrecken eingejagt hätte: Ungeheuer aus Beton und Glas.
    Er schloß einen Moment lang die Augen, als wollte er nichts mehr sehen von der Welt von 1978. Noch schien die Sonne. Aber er hatte einen Blick in die Welt der Schatten getan - und er hatte Angst.
    Er setzte sich auf eine Parkbank und zog eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche. «Benbow Dorman.» Er drehte sie um, nahm seinen Füllfederhalter und schrieb in großen Buchstaben ULRIKE auf die Rückseite. Danach saß er noch lange da und starrte auf die Karte. Die Sonne schien ihm warm ins Gesicht. Er dachte an all die Menschen, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatten, an seinen Vater, an Nell, seine Mutter. Alle im gleichen Netz gefangen, dachte er. Und wir haben gekämpft wie die Fische im Netz — um unser nacktes Leben, um die Freiheit. Und was haben wir erreicht? Eine geteilte Welt, eine Erde, wo es Menschen gibt, für die nie die Sonne scheint.
     
    Der Strauß war wirklich wunderbar, der Preis exorbitant. Trotz Seidenband und Cellophanumhüllung wirkten die Frühlingsblumen wunderschön in ihrer Schlichtheit. Die Verkäuferin befestigte seine Karte an dem Strauß, und Benbow Dorman verließ mit gewichtigen Schritten den Laden.
    Der Aprilwind blies ihm spöttisch ins Gesicht. Er ging über den Trafalgar Square nach Whitehall und dann zum Fluß hinunter.
    In der Mitte der Westminster Bridge blieb er stehen und blickte über das Geländer nach unten. Dann warf er die Blumen hinab. Sie fielen ins Wasser und trieben schnell davon, nach Osten, zur See hin, wo die französische Küste lag, die Küste des zerrissenen europäischen Kontinents.
    Er sah den Blumen nach. Ein Polizist, der ihn beobachtet hatte, trat näher und fragte: «Entschuldigung, Sir. Aber Sie wollen doch hoffentlich nicht auch...»
    «Nein, nein», sagte Benbow Dorman lachend. «Keine Sorge.»
    «In Ordnung, Sir. Und nichts für ungut.»
    «Aber woher denn», sagte Benbow Dorman. Und der Polizist erwiderte sein Lächeln. Ob er wohl auch gelächelt hätte, dachte Benbow, wenn er einen Farbigen vor sich gehabt hätte oder einen bärtigen, langhaarigen jungen Mann?
    Aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Er war
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