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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen
Autoren: Eric Malpass
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«Nein.»
    «Also gut. Die meisten wollen das — ist wohl Geschmackssache. Also Reliefbuchstaben, auf Granit. Ich schicke Ihnen den Voranschlag.»
    «Danke», sagte Mr. Dorman. Er verließ das kleine Kontor der Steinmetzfirma und machte sich auf den Weg zum Reisebüro.
     
    Crystal war ihm eine gute Frau gewesen. Oder vielleicht hätte man besser sagen sollen: sie war eine gute Bankdirektoren-Ehefrau gewesen. Sie hatte, wenn die Halb Jahresbilanzen fällig waren, stets für Kaffee und Erfrischungen gesorgt, sie hatte regelmäßig mit den Frauen der anderen leitenden Angestellten Bridge gespielt. Und bei den jährlichen Betriebsfesten hatte sie sich selbst übertroffen: Sie war einfach vollkommen gewesen, einerlei ob sie mit einem der anderen Direktoren bei einem Gin-Tonic über Mallorca sprach oder sich von einem jungen Kassierer zum Tanz führen ließ. Hätte man sie gefragt, so hätten sowohl der Direktor als auch der Kassierer beteuert, der «hölzerne» Dorman habe wirklich eine fabelhafte Frau.
    Im häuslichen Bereich war sie nicht ganz so brillant gewesen. Eine stattliche Frau, ja («Der Alte weiß, was er an ihr hat», sagten die Angestellten schmunzelnd), aber das Denken war nicht unbedingt ihr Fall. Sie hatte in der Zeitung immer nur die Todesanzeigen und die Lokalnachrichten gelesen, und alles, wofür er sich interessierte, war ihr gleichgültig gewesen.
    Er hatte sie geliebt, und er war ihr treu geblieben. (Nur einen Umschlag mit einer Berliner Adresse gab es, den er ohne ihr Wissen in seinem Bankfach aufbewahrte.) Aber er hatte sie nicht innig geliebt — nein, das nicht. Das entsprach nicht der Wahrheit.
    Seinen Posten in der Bank hatte er an seinem sechzigsten Geburtstag aufgegeben. Vier Jahre später war Crystal gestorben. Er hatte aufrichtig um sie getrauert. Und bei der Trauerfeier in der Kirche waren die angesehensten Bankkunden sowie Vertreter aller anderen Banken von Ingerby zusammen mit ihren Frauen zugegen gewesen. Er hatte die wichtigsten Leute von Ingerby nach der Beisetzung zum Imbiß zu sich nach Hause gebeten. Das Buffet hatte er bei der Firma bestellt, die auch das Hochzeitsmenu für die Tochter des Herzogs von Cavendish geliefert hatte. Als er sich zwischendurch einen Augenblick von den Gästen zurückzog und allein in seinem Arbeitszimmer stand, dachte er, wie sehr Crystal sich über eine solche Beerdigung gefreut hätte. Sogar der Präsident der Vereinigten Banken war gekommen—aber das würde sie nun leider nie erfahren!
    Ja, er hatte für alles gesorgt. Anzeige in der Times. Eine Beerdigung im großen Stil, die angesehensten Trauergäste. Er hatte an nichts gespart. Und nun hatte er den Grabstein in Auftrag gegeben. Er wußte, was seiner Frau gefallen hätte. Er wußte, was er ihr schuldig war. Er versuchte, alles so zu machen, wie es ihr am liebsten gewesen wäre.
    Auf dem Rückweg von der Grabstelle zu dem Wagen des Beerdigungsunternehmers fiel sein Blick auf einen Grabstein: Mabel Carter. Tante Mabel — sie hatte als einzige in der Familie gewußt, daß man das Leben genießen konnte. Nun lag auch sie hier. Aber sie hatte das Beste aus ihrem Leben gemacht. Zuletzt hatte er sie im Krieg gesehen. Er war auf Urlaub gekommen und hatte seine Mutter nicht mehr gefunden. Niemand schien zu wissen, was mit ihr geschehen war. Es war der einzige Moment in seinem Leben gewesen, in dem Bitterkeit und ohnmächtiger Zorn gegen das Schicksal ihn übermannten. Seine Großmutter hatte geheult, als er sie fragte, und dann grollend geschwiegen. Seine Tanten hatten beleidigt das Gesicht verzogen und ebenfalls nichts zu sagen gewußt. Dann war er zu Großtante Min gegangen, die doch sonst immer alles gewußt hatte. Aber sie hatte keine Ahnung, wo Nell geblieben war. Sie schien nicht einmal mehr zu wissen, wer Nell war oder er, Benbow, oder sie selber. Sie saß in ihrem alten Sessel, machte unablässig ihre Handtasche auf und zu und starrte Benbow argwöhnisch an.
    Von ihr war er zu Großtante Mabel gegangen. Sie hatte ihn in ihre kräftigen alten Arme genommen und gesagt: «Ach, Junge -es tut mir so leid.»
    «Was ist denn bloß geschehen?» fragte er.
    «Sie muß wohl oben im Haus gewesen sein, als die Bombe einschlug. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn Lizzie sie wegen irgend etwas raufgeschickt hätte. Aber Lizzie sagt natürlich nichts.»
    «Ja, ich weiß.»
    Sie hatte klappernd zwei Tassen auf den Tisch gestellt und Tee aus der bereitstehenden Kanne eingeschenkt. «Es tut mir so leid»,
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