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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen
Autoren: Eric Malpass
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sagte sie noch einmal.
    Er nickte und trank einen Schluck Tee. «Hast du... von... von Ulrike hast du wohl nichts gehört?» Es sollte beiläufig klingen, wie alle Fragen, die er stellte. Aber sein Herz hämmerte laut.
    Sie sprang auf und holt ein paar Umschläge, die hinter der Teedose auf dem Kaminsims steckten. Einen zog sie heraus. «Doch — hier. Der kam am Tag vor Kriegsausbruch, von Siegfried. Nur eine kurze Nachricht. Nett von ihm, nicht?» Aber ihr Interesse an Siegfried war sichtlich nicht mehr so lebhaft wie früher. Vielleicht hing das mit den Sperrballons zusammen, die man vom Fenster aus auf dem Moor sehen konnte...
    In dem Brief stand nur, daß es ihm und Ulrike gut gehe und daß sie beide das gleiche von Mabel hofften.
    Benbow notierte sich die Adresse auf einem alten Umschlag. Als der Krieg vorüber war, schrieb er an Ulrike, bekam aber keine Antwort. Er ging in die Bücherei von Ingerby und ließ sich einen Stadtplan von Berlin geben. Die Straße, in der Ulrike wohnte, lag in der von den Russen besetzten Zone.
     
    Fast vierzig Jahre waren inzwischen vergangen seit dem Tag, an dem er diese Adresse erfahren hatte. Die Chance, daß Ulrike dort noch wohnte, war sehr gering. Das Haus konnte von Bomben zerstört worden sein, und vielleicht war sie ja auch längst gestorben oder - schrecklicher Gedanke - deportiert oder umgebracht worden. Vielleicht hatte sie geheiratet, und selbst wenn sie noch dort lebte, wer weiß, vielleicht würde sie sich gar nicht mehr an ihn erinnern. Oder das Wiedersehen würde für beide Seiten nur peinlich sein. Jedenfalls war sie bestimmt nicht mehr das frische junge Mädchen von damals, sondern eine deutsche Hausfrau von Mitte Sechzig. Und er? Er mußte lachen, wenn er daran dachte, wie er sich verändert hatte seit damals...
    Trotzdem ging er zum Reisebüro. Was war denn sein Leben bisher gewesen? Haus Omdurman, eine englisch-puritanische Erziehung, die graue Monotonie eines Krieges, den er in den Depots der RAF verbracht hatte, ein Leben in der Bank, ein Leben an Crystals Seite. Ein einziges Mal hatte ein helles Licht für ihn geleuchtet - und es war erloschen, noch ehe es seinen Weg hatte erhellen können: Ulrike, das wunderschöne blonde Mädchen, das den blassen jungen Engländer mit den «Hitlerjungen» verglichen hatte. Diesem Vergleich hatte er natürlich nicht standgehalten. Trotzdem - eine Zeitlang hatte sie ihn heiraten wollen.
     
    Berlin! Einst eine laute, arrogante Stadt, durch deren Straßen die schweren Schritte von Marschkolonnen hallten. Heute eine Stadt, durch die sich ein Gebilde aus Stein und Stacheldraht, aus Haß und Mißtrauen zog. Eine arme, abgeschnittene, durch eine Gefängnismauer geteilte Stadt.
    Doch das äußere Bild widersprach dieser Wirklichkeit. Abends schlenderte er über den Kurfürstendamm und betrachtete die vielen üppigen Schaufenster und die hell erleuchteten Cafés, in denen zufriedene Männer mit ihren ebenso zufriedenen Frauen saßen und lachten und redeten, selbstsichere, offensichtlich wohlhabende Menschen. Er ging durch breite Straßen mit strengen, imposanten Gebäuden, die durch die unzähligen Linden etwas Versöhnliches erhielten. Überall gab es Linden - sie verliehen dieser soldatischen Stadt ein wenig Anmut. Berlin ohne die Bäume -ein erschreckender Gedanke.
    Erschreckend war am nächsten Tag der Übergang in den östlichen Sektor der Stadt. Frostige Abwehr statt Höflichkeit, Argwohn statt Freundlichkeit. Seine Papiere wurden geprüft, genauestem untersucht und abermals geprüft. Die Beamten trugen Uniformen und Pistolen. Die Soldaten auf den Wachtürmen hatten Gewehre umgehängt und beobachteten die Besucher durch Ferngläser. Was ihm aber am meisten auffiel, war die plötzliche Stille ringsum. Alle Gespräche erstarben oder beschränkten sich auf kurze Fragen und Antworten, und die Beamten reagierten oft nur mit einem Achselzucken oder einem Kopfschütteln. Während der ganzen Zeit hörte man nirgendwo ein Lachen.
    Als Benbow Dorman die Kontrollen passiert hatte, entfaltete er den Stadtplan, prüfte noch einmal, wie er zu gehen hatte, und machte sich auf den Weg. Er wäre gern gleich wieder umgekehrt in die ihm vertrautere Welt jenseits der Mauer. Aber er hatte die Reise mit einem bestimmten Vorhaben angetreten, und das wollte er nun auch ausführen. Auch wenn man es ihm kaum anmerkte, hatte er doch etwas von der Hartnäckigkeit seiner Mutter geerbt.
    Endlich fand er die Straße, die auf dem Umschlag stand — die
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