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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe
Autoren: Jodi Picoult
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Seite unter, stolpert und zieht Paige und Nicholas nach links. »Folge dem Gelben Weg«, singt er aus voller Brust, bis Nicholas ihn abschüttelt. Flackernde Laternen werfen Schatten, die in Gassen voller Herbstlaub kriechen. Nicholas kann schon den Winter riechen.
    Als er die Parkgarage des Mass General erreicht, nimmt er Paige auf die Arme und trägt sie zu seinem Wagen. Dort stellt er sie wieder auf die Füße, während er Max’ Kindersitz beiseiteschiebt. Dann hilft er Paige auf den Rücksitz. Er legt sie auf die Seite und deckt sie mit seiner Jacke zu. Als er den Kragen unter ihr Kinn zieht, packt sie seine Hand und hält ihn mit der Kraft eines Schraubstocks fest. Sie starrt über seine Schulter und beginnt zu schreien.
    Nicholas dreht sich um und sieht sich Auge in Auge dem Tod gegenüber. Neben der Tür steht eine unmöglich große Gestalt im fließenden schwarzen Gewand des Sensemanns. Die Augen sind in den Falten der Kapuze verborgen, und die Spitze einer Sense aus Alupapier berührt Nicholas an der Schulter. »Machen Sie, dass Sie hier wegkommen«, knurrt Nicholas und brüllt die Worte dann noch einmal. Er versetzt dem Gewand einen Stoß, das sich so substanzlos wie Tinte anfühlt. Paige hört auf zu schreien, setzt sich auf und versucht, wieder auszusteigen. Nicholas macht ihr die Tür vor der Nase zu und steigt dann selbst ein. Dann fährt er durch die überfüllten Straßen Bostons in die Zuflucht seines Heims.
    »Paige«, sagt Nicholas. Sie antwortet nicht. Er schaut in den Rückspiegel und sieht, dass sie die Augen weit aufgerissen hat. »Paige«, sagt er erneut, diesmal lauter. »Max wird wieder gesund werden. Er wird wieder gesund .«
    Er beobachtet ihre Augen, als er das sagt, und er glaubt, einen Funken des Erkennens zu sehen, aber das könnte auch das trübe Licht im Wagen gewesen sein. Er überlegt, welche Apotheken heute in Cambridge geöffnet haben und was er verschreiben könnte, um Paige aus diesem Zustand zu holen. Normalerweise würde er Valium vorschlagen, aber Paige ist jetzt ruhig. Zu ruhig eigentlich. Er will, dass sie wieder um sich schlägt und schreit. Er will eine Spur von Leben sehen.
    Als Nicholas in die Einfahrt einbiegt, setzt Paige sich auf. Nicholas hilft ihr aus dem Wagen, steigt die Stufen zur Veranda hinauf und erwartet, dass sie ihm folgt. Doch als er den Schlüssel in die Haustür steckt, bemerkt er, dass Paige nicht neben ihm steht. Er sieht sie über den Rasen zu den blauen Hortensien wandern, zu der Stelle, wo sie geschlafen hat, als sie noch vor dem Haus campieren musste. Sie legt sich aufs Gras, und der Raureif schmilzt unter der Wärme ihrer Haut.
    »Nein«, sagt Nicholas und tritt zu ihr. »Komm rein, Paige.« Er streckt die Hand aus. »Komm mit mir.«
    Zunächst rührt sie sich nicht, doch dann bemerkt Nicholas, wie ihre Finger zucken. Da wird ihm klar, dass er ihr nicht nur entgegenkommen, sondern den ganzen Weg gehen muss. Nicholas kniet sich auf die kalte Erde und zieht Paige hoch. Als er sie zum Haus führt, schaut sie immer wieder zu den blauen Hortensien zurück. Die Stelle, wo sie gelegen hat, wirkt geradezu obszön grün vor dem Hintergrund des Raureifes, ganz so, als hätte sie an dieser Stelle einen künstlichen Frühling geschaffen.
    Nicholas führt sie ins Haus und hinterlässt Dreckspuren auf dem hellen Teppich. Als er Paige den Mantel auszieht und ihr das Haar mit einem sauberen Geschirrtuch trocken reibt, schaut er auf die schmutzigen Fußabdrücke und kommt zu dem Schluss, dass ihm das gefällt. Die Abdrücke vermitteln ihm das Gefühl zu wissen, wo er gewesen ist. Er wirft Paiges Mantel auf den Boden und dann ihr nasses Hemd und ihre Jeans. Und er schaut zu, wie jedes einzelne Kleidungsstück wie ein glitzerndes Juwel auf den Teppich mit seiner kränklichen Farbe fällt.
    Nicholas ist so fasziniert von den Farbklecksen, die plötzlich überall im Raum erscheinen, dass er Paige zunächst nicht bemerkt. Zitternd steht sie vor ihm. Sie trägt nur noch ihre Unterwäsche. Als Nicholas sich zu ihr umdreht, staunt er über den Farbkontrast: Paiges gebräunter Hals im Gegensatz zu ihrer milchig weißen Brust und dem dunklen Muttermal auf ihrem weißen Bauch. Falls Paige bemerken sollte, wie er sie anstarrt, so sagt sie zumindest nichts. Sie hält den Blick gesenkt und reibt sich die Arme. »Sag etwas«, fleht Nicholas sie an. »Irgendwas.«
    Falls sie wirklich einen Schock erlitten haben sollte, dann darf sie auf gar keinen Fall halbnackt in einem
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