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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe
Autoren: Jodi Picoult
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werde mir noch etwas Kaffee holen«, verkündet sie. »Brauchst du irgendwas?«
    Nicholas starrt sie an. »Du hast den anderen Kaffee doch gar nicht angerührt.«
    Paige verschränkt die Arme vor der Brust, und ihre Fingernägel bohren sich in die Haut und hinterlassen rote Abdrücke, die sie jedoch nicht bemerkt. »Es ist kalt«, sagt sie, »viel zu kalt.«
    Eine Gruppe Krankenschwestern kommt vorbei. Sie tragen einfache weiße Uniformen; doch Fellohren ragen aus ihrem Haar, und sie haben Schnurrhaare und Pelz im Gesicht. Dann bleiben sie stehen, um mit dem Teufel zu reden. Es ist irgendein Arzt, ein rotes Cape flattert um seine blaue OP-Kleidung. Er hat einen Gabelschwanz, einen schimmernden Ziegenbart und eine Chilischote an seinem Stethoskop. Paige schaut Nicholas an, und einen Augenblick lang herrscht in seinem Kopf einfach nur Leere. Dann fällt ihm wieder ein, dass heute Halloween ist. »Ein paar Leute verkleiden sich«, erklärt er. »Das heitert die Kinder in der Pädiatrie auf.« Wie Max , denkt er, spricht es aber nicht aus.
    Paige versucht sich an einem Lächeln, doch es ist nur ein verzerrtes Grinsen. »Und?«, fragt sie. »Kaffee?« Aber sie rührt sich nicht. Dann, plötzlich, beginnt sie wie ein gesprengtes Gebäude in sich zusammenzufallen. Sie lässt den Kopf hängen, dann die Schultern, und schließlich schlägt sie die Hände vors Gesicht. Als dann ihre Knie nachgeben, ist Nicholas schon aufgesprungen und bereit, sie aufzufangen. Vorsichtig setzt er sie auf einen Stuhl. »Das ist alles meine Schuld«, sagt sie.
    »Das ist nicht deine Schuld«, widerspricht Nicholas ihr. »Das hätte jedem Kind passieren können.«
    Paige scheint ihn nicht gehört zu haben. »Das war die beste Art, die Schuld zu begleichen«, flüstert sie, »aber er hätte mich stattdessen treffen sollen.«
    »Wer?«, fragt Nicholas irritiert. Vielleicht konnte er ja doch jemandem für all das hier die Schuld in die Schuhe schieben. »Von wem sprichst du?«
    Paige schaut ihn an, als wäre er verrückt. »Von Gott«, antwortet sie.
    Als Nicholas die Windel wechselte und das Blut sah, da hatte er nicht mehr nachgedacht. Er hatte Max in eine Decke gewickelt und war mit der Wickeltasche über der Schulter, aber ohne Portemonnaie einfach losgerannt. Doch er war nicht direkt zum Krankenhaus, sondern erst einmal zum Haus seiner Eltern gefahren. Instinktiv hatte er Paige abholen wollen. In diesem Moment war es egal, warum Paige ihn verlassen hatte oder warum sie wieder zurückgekommen war. In diesem Moment zählte nur, dass sie Max’ Mutter ist. Das ist die Wahrheit, und das ist auch der Punkt, von dem aus sie wieder eine Verbindung zueinander aufbauen können.
    Falls Max wieder in Ordnung kommen sollte, heißt das.
    Nicholas schaut Paige an. Sie weint leise vor sich hin. Er weiß, dass viele Dinge vom Erfolg dieser Operation abhängen. »Hey«, sagt er. »Hey, Paige. Liebling. Lass mich dir einen Kaffee holen.«
    Er geht den Flur hinunter, vorbei an Elfen und Kobolden, und er pfeift vor sich hin, um die ohrenbetäubende Stille auszusperren.
*
    Sie hätten schon längst rauskommen müssen, um über die Fortschritte zu berichten. Inzwischen ist sogar schon die Sonne untergegangen. Nicholas bemerkt das jedoch erst, als er rausgeht, um sich die Beine zu vertreten. Auf der Straße hört er die Rufe der feiernden Menschen und das Knirschen, wenn jemand auf liegen gebliebene Süßigkeiten tritt. Dieses Krankenhaus ist eine künstliche, kleine Welt für sich. Wenn man hineingeht, verliert man jegliches Gefühl für Zeit und Wirklichkeit.
    Paige erscheint an der Tür. Sie winkt wild, als würde sie ertrinken. »Komm rein«, formt sie mit den Lippen hinter dem Glas.
    Kaum ist Nicholas durch die Tür, da packt sie ihn am Arm. »Dr. Cahill sagt, es sei alles gut gelaufen«, berichtet sie und sucht in Nicholas’ Gesicht nach einer Reaktion. »Das stimmt doch, oder? Er würde doch nichts vor mir verheimlichen.«
    Nicholas kneift die Augen zusammen und fragt sich, wohin zum Teufel Cahill so schnell verschwunden ist. Dann sieht er ihn, wie er sich an der Schwesternstation ein paar Notizen macht. Nicholas läuft zu ihm und reißt den Chirurgen an der Schulter herum. Er sagt kein Wort.
    »Ich denke, Max wird wieder in Ordnung kommen«, erklärt Cahill. »Wir haben zunächst versucht, das ohne größeren Eingriff zu regeln, doch dann mussten wir doch schneiden. Wie bei so einem kleinen Kind üblich, sind die nächsten vierundzwanzig Stunden kritisch.
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