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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe
Autoren: Jodi Picoult
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Trotzdem würde ich sagen, die Prognose ist exzellent.«
    Nicholas nickt. »Ist er auf der Intensiv?«
    »Für eine Weile. Später werden wir ihn dann auf die Pädiatrie verlegen.« Cahill zuckt mit den Schultern, als wäre das ein Fall wie jeder andere auch. »Sie sollten jetzt vielleicht erst einmal ein wenig schlafen, Dr. Prescott. Das Baby ist noch sediert. Er wird eine ganze Weile schlafen. Sie andererseits sehen wirklich mies aus.«
    Nicholas fährt sich mit der Hand durchs Haar und reibt sich das unrasierte Kinn. Er fragt sich, wer für ihn wohl die Operation heute Morgen abgesagt hat. Er selbst hatte das ganz vergessen. Nicholas ist so müde, dass er die Zeit nur noch verzerrt wahrnimmt. Cahill verschwindet, und plötzlich steht Paige wieder neben ihm. »Können wir jetzt gehen?«, fragt sie. »Ich will ihn sehen.«
    Das reißt Nicholas wieder in die Gegenwart zurück. »Glaub mir, das willst du nicht«, erwidert er. Er hat schon Babys kurz nach einer Operation gesehen. Nähte bedecken ihren halben Leib, und ihre Augenlider sind blau und durchsichtig. Irgendwie sehen sie immer wie Opfer aus. »Warte noch eine Weile«, sagt er. »Wir gehen rauf, sobald er in die Pädiatrie verlegt worden ist.«
    Paige reißt sich von Nicholas los und schaut ihn mit funkelnden Augen an. »Jetzt hör mir mal zu«, sagt sie mit harter Stimme. »Ich habe den ganzen Tag lang gezittert, ob mein Sohn leben oder sterben wird. Mir ist egal, ob er den ganzen Laden vollblutet. Bring mich zu ihm, Nicholas. Er muss wissen, dass ich hier bin.«
    Nicholas öffnet den Mund, um ihr zu sagen, dass Max noch bewusstlos ist und deshalb nicht wissen kann, ob sie nun im Aufwachzimmer oder Gott weiß wo ist. Doch dann hält er inne. Er selbst hatte noch nie eine Narkose bekommen. Woher soll er also wissen, was jemand in der Narkose mitbekommt und was nicht? »Komm mit«, sagt er. »Für gewöhnlich würden sie dich nicht reinlassen; aber ich denke, ich kann ein paar Beziehungen spielen lassen.«
    Auf dem Weg zum Aufwachzimmer der Intensivstation paradieren Kinder in Pyjamas durch den Gang. Sie tragen Pappmachémasken, die Füchse, Geishas und Batman darstellen. Sie werden von einer Krankenschwester angeführt, die Nicholas schon einmal gesehen hat. Er meint, dass sie einmal den Babysitter für Max gespielt hat. Sie singen ›Camptown Races‹, und als sie Paige und Nicholas sehen, lösen sie ihre Formation auf und springen um sie herum. »Süßes oder Saures«, trällern sie. »Süßes oder Saures. Gib mir was zu essen.«
    Paige schaut Nicholas an, der nur den Kopf schüttelt. Sie steckt die Hände in die Hosentaschen und zieht sie heraus. Eine ungeschälte Paranuss, drei Nickel und eine kleine Rolle Verbandmull sind alles, was zum Vorschein kommt. Sie nimmt jeden einzelnen Gegenstand, als wäre er vergoldet, und drückt die Schätze den wartenden Kindern nacheinander in die Hand. Enttäuscht starren die Kinder sie an.
    »Gehen wir«, sagt Nicholas und schiebt Paige zwischen den kostümierten Kindern hindurch. Er nimmt einen Umweg über den Versorgungsaufzug und geht direkt zur Schwesternstation. Sie ist unbesetzt, doch Nicholas geht einfach hinter den Tisch, als sei das sein gutes Recht, und blättert durch den Belegungsplan. Dann dreht er sich zu Paige um, um ihr zu sagen, wo Max liegt, doch sie ist bereits gegangen.
    Nicholas findet sie im Aufwachzimmer, teilweise verdeckt von dünnen weißen Vorhängen. Sie ist wie versteinert, während sie auf Max in seinem Krankenhausbettchen starrt.
    Nichts hätte Nicholas auf das hier vorbereiten können. Unter einem sterilen Plastikzelt liegt Max vollkommen still auf dem Rücken, die Arme über dem Kopf. Er hängt an einer Infusion, und ein dicker Verband bedeckt seinen ganzen Oberkörper bis hin zum Penis, der mit Mull umwickelt ist. Eine Windel trägt er nicht. Eine Maske auf Mund und Nase versorgt ihn mit Sauerstoff. Seine Brust hebt und senkt sich kaum merklich, und sein Haar wirkt geradezu obszön schwarz vor dem Hintergrund seiner alabasterweißen Haut.
    Hätte Nicholas es nicht besser gewusst, er hätte geglaubt, Max sei tot.
    Nicholas hat vergessen, dass Paige auch hier ist, doch dann hört er ein ersticktes Geräusch neben sich. Die Tränen laufen Paige übers Gesicht, als sie um die Vorhänge herumgeht und die Hand auf das Gitter des Bettchens legt. Licht schimmert silbern auf ihrem Gesicht, und mit ihren blutunterlaufenen Augen und den eingefallenen Wangen sieht sie wie ein Geist aus, als sie sich
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