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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe
Autoren: Jodi Picoult
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für eine Weile entführen kann; wenn sie ihn für eine Weile entführen kann … Was soll das schon schaden? In seinem Beruf stehen die Chancen immer gegen ihn, doch er hat schon vor langer Zeit gelernt, dass man das Ergebnis nicht immer kontrollieren kann. Und er sagt sich selbst, dass das der Grund ist, warum er jetzt so angestrengt versucht, nicht wieder hineingezogen zu werden. Aber er kann kämpfen bis zum Umfallen, irgendwo in seinem Hinterkopf weiß er um die Grenzen seiner Macht.
    Nicholas schließt die Augen, als Paige ihm über den Nacken leckt und ihm mit ihren kleinen Händen über die Brust streicht. Einen kurzen Augenblick lang erlaubt er sich die Vorstellung, dass sie genauso zu ihm gehört wie er zu ihr. Paige küsst ihn auf den Mundwinkel. Es geht nicht um Besitz oder Grenzen. Es geht darum, alles zu geben, bis man nichts mehr geben kann, und dann in den letzten Winkeln zu suchen, bis man doch noch etwas findet.
    Nicholas wälzt sich herum, sodass er und Paige einander gegenüberliegen. Lange Zeit schauen sie sich einfach nur an, streichen über vertraute Haut und flüstern Dinge, die ohne Bedeutung sind. Noch zweimal in dieser Nacht kommen sie zusammen, und jedes Mal hakt Nicholas stumm etwas ab. Das erste Mal steht für die Vergebung. Das zweite Mal steht für das Vergessen. Und das dritte Mal steht für den Neuanfang.

K APITEL 44
    P AIGE
    Ich wache in meinem eigenen Bett auf. Ich liege in Nicholas’ Armen, und ich habe absolut keine Ahnung, wie ich dorthin gekommen bin. Vielleicht , denke ich bei mir, war das alles ja nur ein böser Traum. Und einen Augenblick lang bin ich fest davon überzeugt, wenn ich den Flur hinuntergehe, werde ich Max friedlich in seiner Wiege liegen sehen, doch dann erinnere ich mich an das Krankenhaus und an letzte Nacht, und ich drücke mir das Kissen auf den Kopf in der Hoffnung, das Tageslicht auszusperren.
    Nicholas rührt sich neben mir. Die weißen Laken stehen in starkem Kontrast zu seinen schwarzen Haaren und lassen ihn unsterblich aussehen. Als er die Augen öffnet, erinnere ich mich flüchtig an die letzte Nacht, an Nicholas’ Hände, die wie ein Waldbrand über meinen Körper fegten. Ich erschrecke mich und ziehe die Decke hoch, um mich zu bedecken. Nicholas dreht sich auf den Rücken und schließt die Augen.
    »Das hätte vermutlich nie passieren dürfen«, flüstere ich.
    »Vermutlich nicht«, erwidert Nicholas gereizt. Er reibt sich das Kinn. »Ich habe um fünf Uhr im Krankenhaus angerufen«, sagt er. »Max schläft noch immer tief und fest, und seine Werte sind gut. Die Prognose ist hervorragend. Er wird wieder ganz gesund werden.«
    Er wird wieder ganz gesund werden. Mehr als alles andere auf der Welt will ich Nicholas vertrauen, aber ich werde ihm nicht glauben, bevor ich Max nicht gesehen und in die Arme genommen habe und er nach mir ruft. »Können wir ihn heute sehen?«, frage ich.
    Nicholas nickt. »Um zehn Uhr«, sagt er, steigt dann aus dem Bett und zieht sich seine Boxershorts an. »Möchtest du das Badezimmer hier benutzen?«, fragt er leise, und ohne auf eine Antwort zu warten, stapft er durch den Flur zum kleineren Badezimmer.
    Ich starre mich selbst im Spiegel an. Ich bin schockiert von meinen eingefallenen Wangen und den roten Augen. Ich schaue mich nach meiner Zahnbürste um, aber natürlich ist die nicht hier. Nicholas hat sie mit Sicherheit schon vor Monaten weggeworfen. Also borge ich mir seine, aber ich kann mir kaum die Zähne putzen, denn meine Hände zittern. Die Zahnbürste fällt klappernd ins Waschbecken und hinterlässt einen blauen Zahnpastafleck. Und ich frage mich, wann ich selbst diese simpelsten Fähigkeiten eingebüßt habe.
    Dann erinnere ich mich an die dumme Liste meines Könnens, die ich an dem Tage gemacht habe, als ich von zu Hause weggelaufen bin. Was hatte ich aufgeschrieben? Damals konnte ich eine Windel wechseln, Milchpulver abmessen und meinen Sohn in den Schlaf singen. Und was kann ich jetzt? Ich krame in den Schubladen unter dem Waschbecken und finde meine alte Schminktasche, die hinter Nicholas’ Rasierapparat steckt. Ich hole einen blauen Eyeliner heraus und werfe die Kappe ins Klo. Ich …, schreibe ich auf den Spiegel. Ich kann traben, galoppieren und über Hindernisse springen. Ich tippe mir mit dem Stift ans Kinn. Ich kann mir selbst einreden, dass ich nicht meine Mutter bin. Der Platz auf dem Spiegel wird knapp; also schreibe ich auf den weißen Wandschränken weiter. Ich kann meinen Schmerz
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