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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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unserem ersten Kuss. Aber dann zuckt Finn plötzlich zurück. „Spinnst du?“ sagt er überrumpelt. „Glaubst du wirklich, mit einem kleinen Ringkampf und einer lapidaren Entschuldigung sei alles vorbei und vergessen? Hast du sie noch alle?“
    Ich fühle mich, als hätte er mir einen weiteren Schlag versetzt, aber diesmal einen, der mich völlig unvorbereitet trifft, ein hinterhältiges K. o., nachdem der Kampf vom Ringrichter abgepfiffen wurde. „Was … was meinst du?“ stottere ich. „Ich verstehe nicht.“
    „Was ich meine?“ fragt Finn entgeistert zurück. „Dass ich nicht einfach da weitermachen kann, wo wir aufgehört haben!“
    Ich traue meinen Ohren nicht und kann meine Fassungslosigkeit kaum verbergen. Meine Gesichtsmuskeln arbeiten, ich muss kämpfen, damit mir die Tränen nicht über die Wangen laufen.
    Alles war umsonst, denke ich bitter. Es hat alles nichts genützt. Wie konnte ich nur so dumm sein und mir Hoffnungen machen! „Und jetzt?“ frage ich mit belegter Stimme. Ich komme mir so lächerlich vor. Mein ganzer Körper ist angespannt und Finns Nähe fühlt sich auf einmal falsch und unpassend an.
    Finn richtet sich auf. „Zeit“, sagt er plötzlich leise und unerwartet und streicht mir mit einer behutsamen Geste übers Haar. „Gib uns Zeit. Was haben wir zu verlieren?“
    In diesem Moment wird hinter uns die Schlafzimmertür aufgerissen und Rafael sagt: „Habt ihr euch endlich ausgesprochen? Ganz zivilisiert, so wie es sich für zwei erwachsene Männer gehört?“
    Finn und ich fahren auseinander, als hätte uns jemand bei einer kriminellen Handlung erwischt. Gegenseitig helfen wir uns vom Boden auf und sehen uns betreten in die Augen.
    Rafael grinst. „Sabine und deine Mutter sind vom Einkaufen zurück“, informiert er mich. „Ich glaube, sie haben den halben Tante-Emma-Laden im nächsten Dorf leer gekauft, aber Finn hatte auch wirklich nichts mehr im Haus außer einem Glas Gurken im Kühlschrank und vergammelte Wurst. Kerl, du hast dich ganz schön gehen lassen!“ fügt er kopfschüttelnd zu Finn gewandt hinzu.
    Später, bei einem opulenten Mittagessen, sind Finn und ich sehr schweigsam und überlassen die Unterhaltung den anderen. Simon schielt mit großen, fragenden Augen auf unsere blauen Flecken und geschwollenen Gesichter, aber die warnenden Blicke meiner Schwester halten ihn davon ab, etwas zu sagen. Ich habe keinen Hunger, schiebe Fleischstückchen und Salatblätter auf dem Teller hin und her. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und verlasse wortlos und ohne Entschuldigung den Tisch.
    „Marco …“, ruft mir meine Mutter hinterher, aber ich bedeute ihr mit einer unwirschen Handbewegung, dass sie mich in Ruhe lassen soll.
    Ich wandere allein durch das Haus und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Die Tür zu Finns Arbeitszimmer ist angelehnt und ich stoße sie auf. Das Zimmer ist staubig, durch die Zugluft schweben Wollmäuse über den Boden und verhaken sich in den ausgetretenen Schlingen des Teppichs. An der Wand stehen die voll gestopften Bücherregale mit den zerfledderten Taschenbuchausgaben der Krimis, die Finn so gerne liest. Agatha Christie, Elizabeth George, Ingrid Noll. Mordgeschichten, die meist nicht sehr blutrünstig sind und einen feinen, ironischen Unterton haben.
    Der Kamin in der Ecke ist kalt und ausgefegt, daneben ist fein säuberlich eine Reihe von Holzscheiten gestapelt. Abgestandener Rußgeruch hängt in den Gardinen. Anscheinend hat Finn in den letzten Wochen mehr den Kamin in der Küche genutzt und sich nur selten in diesem Raum aufgehalten. Die Fenster sind so schmutzig, dass man kaum hinausblicken kann. Ich lasse mich auf einen der ausgeleierten, mit dunkelgrünem Cord bezogenen Sessel fallen und schaue mich um.
    Mein Blick fällt auf den behäbigen Schreibtisch vor dem Fenster. Im Gegensatz zum Rest des Raums ist die Schreibunterlage nicht eingestaubt, ebenso wenig der Stuhl, auf dem Finn sitzt, wenn er seine Post erledigt. Der Tisch und der Papierkorb darunter quellen über mit zerknüllten Zetteln. Ich stehe auf und greife neugierig nach einer der Papierkugeln, streife den Briefbogen so gut es geht wieder glatt. „Lieber Marco, es tut mir Leid. Bitte glaub mir …“, lese ich. Weiter ist Finn nicht gekommen. Nervös fingere ich nach einer anderen Kugel. „Lieber Marco …“ Es ist wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Und auch die dritte und vierte Kugel beinhalten immer wieder den gleichen Satz. Ich begreife nicht. Wieso ist dieser Traum
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