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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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auch jetzt wieder tun.
    Finn zeigt seine Verärgerung, indem er mir mit einer brüsken Bewegung einen Pott Kaffee auf den Tisch knallt. Die schwarze Brühe schwappt über und bildet einen feuchten Ring auf der Tischplatte. „Hier“, sagt er und wendet sich wieder dem Abwasch zu. Er hat mit Absicht keinen Zucker dazugestellt, dabei weiß er genau, dass ich ungesüßten Kaffee nicht mag.
    Ich laufe auf nackten Füßen über die kühlen Bodenplatten und setze mich mit hoch gezogenen Beinen auf einen Stuhl am Tisch. „Ich friere“, sage ich.
    „Dann zieh dir was an oder dreh die Heizung auf“, erhalte ich knapp zur Antwort.
    Die Vergangenheit steht wie eine Mauer zwischen uns. Diesseits und jenseits der aufgeschichteten Steine haben wir unsere Eitelkeiten, unsere Wunden und Verletzungen gepflegt, haben uns verändert, auseinander entwickelt und nun wissen wir nicht, ob wir noch dieselbe Sprache sprechen.
    Ich wärme mir die Hände an der Kaffeetasse. Auf dem Tisch liegt eine angebrochene Schachtel Marlboro . „Ich wusste nicht, dass du angefangen hast zu rauchen“, sage ich erstaunt und nehme mir ohne zu fragen eine Zigarette.
    „Du weißt eine ganze Menge nicht“, erwidert Finn. Mit großem Getöse lässt er einen Stapel Besteck ins Abwaschwasser gleiten.
    „Ich habe genug gesehen, um mir eine Meinung zu bilden“, gebe ich zurück und registriere mit Befriedigung, wie Finn zusammenzuckt.
    Wir schweigen. Im Radio singen die Fischerchöre inbrünstig „ O du fröhliche“ und ich würde den Kasten am liebsten genauso inbrünstig zum Fenster hinauswerfen. Meine Stimmung entspricht jetzt eher „ Highway to Hell“ von AC/DC oder sonst einem Lied, bei dem Gitarren auf der Bühne zertrümmert werden. Vor dem Haus rollen Simon und Rafael eine große Schneekugel über den Vorplatz. Annika sitzt etwas abseits im Matsch und lutscht gedankenverloren an der Möhre, die Rafael bestimmt für die Nase des Schneemanns vorgesehen hat. Weiß der Himmel, wo er die aufgetrieben hat. Die Federn von Rafaels mächtigen Flügeln wehen in einer leichten Brise und ich höre Simons aufgeregtes Kinderlachen. Was für ein Gegensatz: Draußen herrscht winterliche Postkartenidylle; hier drinnen werden heimlich die Messer gewetzt. Der Engel schaut für einen Moment auf, sieht mich und nickt mir aufmunternd zu. Er weiß genau, was gerade in der Küche abläuft.
    Finn stützt seine Hände am Spülbecken auf und starrt in das schmutzige, schäumende Wasser. Es fällt ihm schwer, ruhig zu bleiben. „Warum bist du hier, Marco?“ fragt er. „Seit unserer Trennung keine Nachricht, kein Anruf, kein einziges Wort. Ich hatte gerade begonnen, mich mit deiner Verachtung abzufinden – und dann tauchst du plötzlich vor meiner Haustür auf. Warum?“
    Hilflos blase ich Zigarettenrauch in die Luft. Ich weiß die Antwort selber nicht.
    Rafael hat mich hierher geschleift, denke ich. Aber das ist etwas, was Finn nicht verstehen kann, und im Grunde ist es auch nicht richtig. Ich bin hier, weil ich meinen Frieden mit Finn machen will. Nein. Verärgert lasse ich bei diesem letzten Gedanken meine Hand auf den Tisch fallen. Wenn es Zeit ist, Ordnung in mein Leben zu bringen, dann ist es auch Zeit, mir selbst die Wahrheit einzugestehen: Ich bin hier, weil ich hoffe, dass noch etwas zu retten ist.
    „Ich …“ beginne ich, aber Finn schneidet mir das Wort ab.
    „Bist du gekommen, um dich daran zu weiden, wie schlecht es mir geht, wie sehr ich darunter leide, was passiert ist?“ Er schnaubt auf, als wäre mein Schweigen eine Bestätigung seiner Vermutung. „Hätte ich mir ja denken können. Du kriegst den Hals wohl nicht voll genug, was? Ja, es geht mir schlecht!“ sagt er mit lauter werdender, schneidender Stimme. „Ja, ich leide darunter, dass ich mit Lars in der Kiste war, und ich würde wer weiß was dafür tun, wenn ich es ungeschehen machen könnte! Reicht dir das oder bist du erst zufrieden, wenn ich mich vor dir auf dem Boden winde?“
    „Aber so ist es ganz und gar nicht!“ schreie ich ihn an. Obwohl es genau das ist, was ich mir ausgemalt habe, seitdem ich Finn mit Lars erwischt habe. Obwohl es genau die Entschuldigung ist, die ich hören wollte, fühle ich mich auf einmal missverstanden und völlig unfair behandelt. Bin ich so selbstgerecht, rachsüchtig und hartherzig, wie Finns Worte mich erscheinen lassen? „Du blöder Arsch! Wie kannst du so was von mir denken?“
    „Wieso?“ fragt er kaltschnäuzig. „Du wolltest mich doch am
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