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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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man in der Liebe macht und was daraus resultiert, wie unterschiedlich Beziehungen sein können und dass sie trotzdem funktionieren, welche Fehler ich früher gemacht habe, damit ich sie nicht wiederhole. Eine Art Selbstreinigungsritual, ein Scrooge -Effekt: In der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens wird ein kalter, egoistischer Mann dazu gezwungen, Rückschau auf sein Leben zu halten und das Leben anderer zu betrachten, und geht geläutert aus dieser Erfahrung hervor. Nicht, dass ich den Vergleich sehr schmeichelhaft finde, aber diese Absicht würde zu Rafaels Charakter passen – und zur Jahreszeit. Allerdings habe ich diese Reise auch als Vorbereitung verstanden, denn ich habe Rafaels Versprechen, mir einen neuen Mann zu besorgen, genauer gesagt, den Mann, nicht vergessen. Den beabsichtigten Halt bei Finn habe ich als letzte Station begriffen, den Ort, an dem ich meine größte Sünde tilgen kann, bevor ich meine „Belohnung“ bekomme. Dass Finn selbst meine Belohnung ist, und auch das erst, nachdem ich mich vor ihm in den Staub geworfen habe, damit habe ich nicht gerechnet.
    Es stimmt – auch wenn ich es gegenüber Rafael nicht zugeben konnte –, in den letzten Tagen ist mir klar geworden, dass ich mich wie ein Arschloch verhalten habe, dass meine letzten Worte zu Finn unverzeihlich waren und dass sich meine Gefühle zu ihm eigentlich nicht geändert haben. Aber ich habe idiotischerweise auch gedacht, diese Empfindungen würden sich in Luft auflösen, sobald ich meinen Frieden mit Finn geschlossen habe. Doch jetzt sieht es so aus, als würde ich dieser Hoffnung beraubt. Entweder habe ich Rafael Fähigkeiten angedichtet, die er gar nicht besitzt, oder ich habe seine Worte die ganze Zeit über falsch interpretiert.
    „Das ist nicht dein Ernst!“ sage ich schließlich.
    Rafael schweigt und sieht stur geradeaus.
    „Du hast mir den Mann fürs Leben versprochen!“ sage ich lauter.
    „Genau“, bestätigt Rafael. „Finn.“
    Wütend schlage ich auf die Beifahrerkonsole. „Finn ist nicht der Mann meines Lebens! Wenn er es gewesen wäre, hätte er mich nicht betrogen und ich ihn nicht so einfach abserviert. Wir haben es versucht und es hat nicht geklappt. Ist das so schwer zu begreifen?“ Meine Stimme klingt verzweifelt, fast beschwörend, als müsste ich nicht nur Rafael, sondern auch mich selber überzeugen.
    „Und wie soll er deiner Meinung nach sein, dieser Mann deines Lebens?“ fragt Rafael mit gerunzelter Stirn.
    „Oh … äh … groß sollte er sein … ein breites Kreuz haben. Ein paar Haare auf der Brust wären auch nicht schlecht – und der Sex muss geil sein“, sage ich träumerisch.
    „Soll er auch irgendwelche Charaktereigenschaften haben oder reicht es dir, wenn er gut aussieht und im Bett abgeht wie eine Rakete? Wenn ja, hätte ich mir die ganze Mühe sparen können und dir ein paar Pornovideos geschenkt.“
    Ich beschließe, die Ironie zu überhören. „Er sollte mich lieben“, rede ich weiter, „er sollte zuhören können, Geduld haben und meine Macken ertragen. Er sollte für mich da sein, wenn ich ihn brauche, er sollte mir das Gefühl von Geborgenheit geben können und …“ Je länger ich rede, desto leiser und unsicherer werde ich, bis ich schließlich ganz verstumme. Ich höre mich an wie bei einem Casting für eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung.
    „Was ist?“ fragt Rafael und ein wissendes Lächeln umspielt seine Lippen. „Warum sprichst du nicht weiter?“
    „Tu nicht so dumm!“ murmele ich und schaue zu Boden. „Du weißt ganz genau, was los ist.“
    „Du hast dabei an Finn gedacht?“
    Ich nicke zögernd. Es stimmt. Während ich die Charaktereigenschaften meines Traummannes aufgezählt habe, habe ich Finn vor Augen gehabt – auch wenn es mir schwer fällt, das zuzugeben. „Er sollte mir aber vor allen Dingen treu sein!“ sage ich.
    „Treue ist ein hehres Ziel, aber du missbrauchst es, um deine Angst dahinter zu verstecken.“
    „Angst? Was für eine Angst?“
    Rafael lacht leise auf. „Du fürchtest dich entsetzlich, verlassen zu werden, du fürchtest dich vor dem Alleinsein. Was du lernen musst, ist Vertrauen!“
    „Das ich nicht lache!“ erwidere ich. „Wenn ich Finn vertraut hätte, wäre meine Enttäuschung noch größer gewesen!“
    Rafael sieht mich ungläubig an. „Du willst eine Garantie für die Liebe? Die wirst du niemals erhalten, auch nicht durch Treueschwüre. Nur wenn du Finn nicht an dich kettest, wird er bei dir bleiben. Ein Paradoxon
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