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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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ein Stück Dreck! Du hast doch nur darauf gewartet, dass ich es tue. Du wolltest, dass ich es tue, damit du dir sagen konntest, dass du von Anfang an Recht gehabt hast. Du hast mich schon verurteilt, als ich es noch gar nicht getan hatte!“
    „Das ist nicht wahr!“ Ich kann mich kaum bewegen. Mein linker Arm tut so weh, dass ich am liebsten um Gnade betteln würde. Aber ich will mir keine Blöße geben. Ich werde nicht derjenige sein, der sich geschlagen gibt. Mit rechts lange ich an Finns Kopf und ziehe so fest ich kann an seinen Haaren, bis er schreiend meinen Arm loslässt. „Aber ich habe gewusst, dass es passieren wird, seit dem Moment, als du mit diesem Carl geflirtet hast! Und ich habe Recht gehabt!“ sage ich und ziehe seinen Kopf immer weiter nach unten, bis er in einer Geste der Unterwerfung vor mir kniet. „Du bist wie alle anderen! Nein, du bist schlimmer! Du kannst noch nicht mal zu deinen Fehlern stehen!“
    Finn brüllt auf wie ein Löwe, der sein Revier verteidigen muss, und für einen kurzen, irrealen Augenblick denke ich daran, dass er genau dasselbe Geräusch macht, wenn er kommt. Dann verdreht er mir die Hand, mit der ich mich in seinen Haaren festgekrallt habe, und schlägt mit seiner Handkante gegen meine Kniekehlen, sodass ich wie ein Mehlsack zu Boden gehe. Bevor er sich auf mich wirft, kann ich mich im letzten Moment auf den Rücken rollen und meine Knie anwinkeln. Sein Kinn schlägt auf meiner Kniescheibe auf und ich höre ein lautes Knacken. Ich bin völlig außer Atem und habe das Gefühl, jeden Augenblick platzen meine Lungen. Mein Puls rast, und mein Adrenalinspiegel ist außer Kontrolle. Lange kann ich bei diesem Gefecht nicht mehr mithalten. Doch ich habe den Sieg vor Augen. Finn lässt sich benommen auf den Teppich fallen und betastet vorsichtig seinen Kieferknochen.
    „Wie kann man jemandem sagen, dass man ihn am liebsten tot sehen würde?“ fragt Finn keuchend. „Wie kann man einen anderen Menschen so sehr vernichten wollen?“
    „Wenn du glaubst, ich entschuldige mich, dann kannst du warten, bis du schwarz wirst“, erwidere ich.
    Aber diesen letzten Satz hätte ich wohl besser heruntergeschluckt, denn Finn hebt seinen Kopf und in seinen Augen kann ich eine Entschlossenheit lesen, die ich vorher noch nie bei ihm gesehen habe.
    „O doch, das wirst du, Marco!“ sagt er leise und kommt drohend auf mich zu wie ein kampferprobter Sumo-Ringer.
    Erneut stürzt er sich auf mich und ich bin so überrascht von den Kräften, die noch in ihm stecken, dass ich nicht schnell genug reagiere. Nach wenigen Augenblicken liege ich bewegungslos am Boden und Finn sitzt auf meinem Brustkorb, hält meine Arme fest und drückt mit dem Ellenbogen gegen meine Kehle, bis ich Sterne sehe. Ich strampele mit den Beinen, versuche verzweifelt, mich zu befreien, und sehe Finns Grinsen, mit dem er meine vergeblichen Bemühungen registriert. Das Blatt hat sich gewendet.
    Finn drückt seinen Ellenbogen noch ein bisschen fester an meine Kehle. Ich spüre, wie sich das Blut in meinem Kopf staut.
    „Und jetzt sag es, Marco“, flüstert Finn, und auf einmal ist sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ganz nah sind wir uns, fast wie ein Liebespaar. So nah, dass ich den Puls in seinen Schläfen pochen sehen kann und die Sehnsucht in seinem Blick. „Deshalb bist du doch zu mir gekommen!“
    „Niemals!“ röchele ich und spüre, wie Finn unbarmherzig den Druck verstärkt.
    „Sag es!“ wiederholt er. In seiner Stimme ist plötzlich ein Flehen zu hören, als wäre dies sein letzter Versuch, mich umzustimmen. „Bitte, sag es!“ Und dann bekomme ich auf einmal wieder Luft. Finn hat seinen Ellbogen von meiner Kehle genommen und lässt mutlos die Schultern hängen. Hastig sauge ich Sauerstoff in meine Lungen, doch anstatt meine Chance zu nutzen, den Kampf wieder aufzunehmen, bleibe ich liegen und spüre, wie mein Körper jede weitere Gegenwehr verweigert.
    „Es tut mir Leid“, flüstere ich endlich. „Es tut mir Leid.“ Und meine Entschuldigung umfasst nicht nur diesen einen hasserfüllten Satz, sondern alles, was ich falsch gemacht habe in unserer Beziehung, mein Misstrauen, meine Eifersucht, meine Unfähigkeit zu verzeihen, meine Ungläubigkeit, dass er mich wirklich liebt.
    Ich spüre, wie Tränen der Erleichterung sich hinter meinen Augen sammeln. Mit den Händen ziehe ich Finns Kopf ganz zu mir herunter.
    Unsere Lippen berühren sich, zögernd, vorsichtig, unsicher, es ist fast wie bei
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