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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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schlimm sei und ich bei Frau Smigrod bliebe.
    Sogar auf dem Marktplatz, der jetzt besetzt war, haben einige wenige Soldaten ein paar Worte mit uns gewechselt. Am Abend des zweiten Tages klopften sie dann mit dem Gewehrkolben an Lachmanns Friseurgeschäft. Der Lachmann hat schnell seine zwei ältesten Töchter mit Laken zugedeckt und unter dem Bett versteckt. Die Soldaten wollten aber nur Geld und Kleidung, und als sie alles geschenkt bekamen, verschwanden sie wieder.
    Die ersten Flüchtlinge sind nach drei Tagen zurückgekehrt. Auch Mendel mit dem schwarzen Fleck und seine Familie. Sie haben von Toten erzählt und dass die Soldaten unsere ganze Gegend besetzt hätten. Am vierten Tag war es tagsüber noch friedlich, aber am Abend hat dann der Krieg gegen uns begonnen. Es war nachts, da haben wir Rauch aus der Synagoge gesehen. Wir sind auf das Dachgeschoss hinaufgelaufen und sahen, dass die Synagoge, die umliegenden Häuser, das ganze Viertel brannte.
    Mendel ist noch in der Nacht tränenüberströmt zu seiner Schwägerin, Frau Smigrod gelaufen. Er erzählte mit stockender Stimme, dass er in Sosnowiec zu Besuch bei seiner kranken Mutter war, als die Synagoge von Sosnowiec brannte. Da ist er schnell nach Hause gelaufen, weil er doch auch mit Frau und acht Kindern ganz in der Nähe der Synagoge wohnte. Unterwegs hörte er, dass alle Synagogen in unserer Gegend brannten. Vielleicht treibt die Deutschen ein Wahnsinn, dachte er, und sie müssen überall Synagogen brennen sehen, egal, wo sie sich befinden. Als er näher kam, sah er, dass die Christen, die in dem Viertel wohnen, große Kreuze vor sich trugen, damit die Deutschen sie verschonten. Aber als er zu seiner Straße kam, war alles noch entsetzlicher, als er es je in Worte fassen konnte. Sein Haus war niedergebrannt, seine Frau und die acht Kinder durften das brennende Haus nicht verlassen, sie sind zurückgetrieben worden. Jossel ist aus dem Fenster gesprungen und wurde noch im Sprung erschossen.
    Er hört sie immer wieder, die Stimmen seiner Frau und die Stimme von Jossel, seinem ältesten Sohn, von Mirele, von jedem einzelnen seiner acht Kinder. Er hört sie, wie sie ihn rufen, wie sie ihn anflehen, er solle sie aus der brennenden Hitze retten, er hört, wie die Stimmen immer leiser werden und verstummen, um dann wieder von vorne zu beginnen mit dem verzweifelten Rufen der Erstickenden.
    Sobald es hell wurde, habe ich mich zu meinen Eltern nach Zawiercie auf den Weg gemacht. Die Bahn fuhr nicht mehr. Es war ein sehr weiter Weg, aber ich habe nur selten angehalten, um tief Luft zu holen, oder wenn es gar nicht anders ging, um mich an den Straßenrand hinzusetzen und auszuruhen. Von Frau Smigrod habe ich mich nicht verabschiedet. Ich war so schrecklich böse auf sie, weil sie die Soldaten begrüßt hatte. Und ich war genauso böse auf mich selbst, dass ich dabeistand und nichts dagegen unternahm. Hätte ich mir doch nur gewünscht, dass die Malachowskiego sich unter der Last der fremden Stiefel wie ein rauchender Lavaschlund öffnete und die ganze Armee mit Lastwagen und Gewehren, Kanonen und Munition verschlang und noch im Inneren rotglühende kochendheiße Steinmassen auf sie schüttete, so dass auch keiner von ihnen je wieder das Tageslicht erblickte. Vielleicht hätte ich mit so einem Wunsch das Unglück, das unaufhörlich auf uns zukam, noch aufhalten können.«
    Frau Kugelmann ist erschöpft. Sie sieht angegriffen aus, bewegt sich schwerfällig in ihrem Sessel, stützt sich beim Aufstehen mit beiden Händen an der Lehne ab. Ich schenke ihr Wasser nach, sie trinkt langsam, setzt zwischendurch das Glas vorsichtig auf den Tisch. Schon heute früh fiel mir auf, dass sie sich beim Gehen auf einen Regenschirm stützt. Noch scheint sie zu eitel für einen Stock. Ich biete ihr an, sie nach unten zu begleiten, nötige sie mit mir in den Aufzug zu steigen. Sie schließt vor Müdigkeit die Augen, hält sich an mir fest, als der Aufzug sich ruckartig in Bewegung setzt. Wie zerbrechlich sie in den letzten Tagen geworden ist. In der Hotelhalle bitte ich sie, noch einen Moment auf dem Sofa Platz zu nehmen, bevor sie nach Hause geht.
    »Ich biete Ihnen meine Hilfe an«, sage ich mit vor Erregung zitternder Stimme und halte sie fest. »Ich will Sie in Ihrer Arbeit unterstützen!«
    Frau Kugelmann schüttelt meine Hand ab. »Ich brauche dich nicht«, sagt sie.
    »Lassen Sie mich gemeinsam mit Ihnen die Stadt vor dem Vergessen retten. Ich könnte meine Kraft und Jugend für
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