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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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Nach der Genesung fuhren die Kinder zur Erholung zu Verwandten an die Ostsee.
    Sehr selten blieb eine alte Freundschaft bestehen, denn der Hitler hat den Juden, bevor er ihnen das Leben nahm, erst die Freundschaft zu den Schlesiern zerstört, dem Fürstenberg, dem Frenkel und dem Süßmann und vielen anderen Händlern, und nicht nur denen aus der Stahlbranche.
    Das ist ganz langsam gekommen. Zuerst irgendeine Reichsverordnung gegen eine jüdische Verschwörung oder irgendeinen anderen Blödsinn, an den die Erwachsenen glaubten, so dass die Schlesier nicht mehr wie früher mit den Bendzinern Handel treiben wollten. Es sind Briefe mit der Post hin und her gegangen, die Waren sind nicht pünktlich angekommen, Bestellungen wurden nicht angenommen. Und die Fürstenbergs, die Frenkels und die Süßmanns haben die Änderungen wohl gemerkt und sich zurückgezogen, und plötzlich, von einem Tag auf den anderen, gab es keine Freundschaft mehr.
    Nur beim Matussek ist es anders gewesen, der hat sich dem Vater gegenüber doch ehrlich benommen. Er hat ihm gesagt, er könne nicht mehr so pünktlich das eine oder andere liefern, weil man das Rohstoffmaterial im Reich jetzt selber benötige. Und vom Matussek wollten ein paar korrekt gekleidete Herren seit einiger Zeit wissen, ob der Jude Romek Ziegler Waffenfabriken in Chorzow mit deutschem Stahl belieferte, und wegen dieser Fragerei wollte der Matussek dem Vater keinen Stahl mehr verkaufen.
    An einem bestimmten Tag hat er dann mit Romek ein sehr ernstes Gespräch geführt, das war genau am 5. Juni 1939, einen Tag nach Fettauges Geburtstag.
    Matussek sagte dem Vater, dass er schon seit geraumer Zeit in die Partei eingetreten sei. Sein Schwager, der Fritz, sei ein ganz hochrangiges Parteimitglied, er besäße in Lauban eine kleine Fabrik, die bis vor kurzem Stoff für Taschentücher webte. Jetzt aber habe er größere Aufträge und webe Tuch für Uniformen, schneidere auch Uniformen für die hohen Herren. Fritz habe ihn überzeugt, in die Partei einzutreten, es sei von Vorteil, habe er gesagt, wenn die ganze Familie das Parteibuch besäße. Den ganz großen Auftrag habe der Fritz erst nach Matusseks Eintritt bekommen. Deswegen steige er, der Matussek, jetzt geschäftlich um, es komme ein großer Krieg, und da gebe es mit Uniformen viel Geld zu verdienen.
    Aber das sei noch nicht alles, sagte der Matussek. Wegen eines großen Auftrags sei er mit dem Schwager nach Berlin gereist, zur Besprechung von Stoff und Schnitt, und da habe er sehr hohe Militärleute getroffen, die gaben sich ganz siegessicher. Es würde ganz offen darüber gesprochen, dass man mit Panzern und Flugzeugen sehr bald den Osten erobern werde. Und dort seien ihnen die Juden mehr noch als im Reich ein Dorn im Auge. Man werde die Juden aus dem Weg räumen. Und noch etwas habe er vom Fritz gehört, dass der Vater an erster Stelle auf der schwarzen Liste bei den Volksdeutschen stehe, weil er die Waffenfabriken in Chorzow mit Stahl beliefere. Matussek bat Romek Ziegler inständigst zu fliehen, sonst würden sie sich in diesem Leben nicht wiedersehen.
    Zu Hause fasste der Vater den Entschluss, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Dieses Mal hat er aber keine Versammlung einberufen, man konnte ja nicht darüber abstimmen, ob ganz Bendzin fliehen sollte, falls die Deutschen kämen. Er hat alle Führer der Organisationen über seine Fluchtpläne informiert. Es ist alles sehr schnell gegangen. Fettauges Eltern haben nur das Nötigste mitgenommen, vor allem Kleidung für den kommenden Winter. Falls die Deutschen, was man nicht ganz glauben wollte, tatsächlich Polen erobern sollten, dann wollten sie weiter nach Russland fliehen.
    Fettauge war mit der Flucht an diesem Tag sehr einverstanden, denn es stand am nächsten Morgen in der Schule eine Lateinprüfung bei der Fanny Sternenlicht an. Die Sommerferien hätte er sich nicht von so einer Flucht vermasseln lassen, so aber ging er den Eltern willig zur Hand und übernahm die Aufgabe, während der Reise auf dem Pferdewagen an diesem heißen Junitag für kühle Getränke zu sorgen.
    Bestimmt würde der Vater in ein paar Monaten, wenn alles wieder ruhig wäre, nach Bendzin zurückkehren und wie gewohnt eine Versammlung einberufen, eine allererste, und sei es nur, um das abgedunkelte Wohnzimmer, in das Fettauge beim Abschiedsblick auf die Wohnung gar nicht mehr hineinschauen mochte, wieder taghell zu beleuchten. Fettauge dachte, dass er spätestens zu Beginn des neuen
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