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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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abhanden gekommen war. Drei weitere Familien, Gutka Fürstenberg mit ihrem christlichen Mann, Schlomo Fürstenberg mit seiner Frau Mania und ihren drei kleinen Kindern sowie Mietek, der Pechvogel, seine Eltern, seine jüngeren Schwestern, der Nachzügler und die Großeltern Dreiblatt machten in Slawkow Halt, um Proviant einzukaufen und sich ein wenig auszuruhen. Auch Mirele wollte, als sie durch Slawkow kamen, in einer Bäckerei Brot für den Rückweg einkaufen, aber der Vater trieb sie mit ungewohnter Härte an und hielt sie so fest, dass sie sich nicht befreien konnte. Erst auf der Landstraße lockerte der Vater den Griff. Auf dem Weg nach Strzemieszyce hörten sie Motorengeräusch und Schießen, sie leisteten sich noch nicht mal einen kurzen Moment, um von dem Schreck ein wenig zu verschnaufen, sondern fuhren eingedenk dessen, was der Rebbe gesagt hatte, auf dem schnellsten Weg nach Dombrowa zurück.
    Am nächsten Morgen haben sie erfahren, dass in Slawkow, auf der Höhe der Brücke in der Nähe einer Fabrik von Abraham Stein, allen Männern, ob alt oder jung, zum Amüsement von den Deutschen die Bärte abgeschnitten wurden. Und dann wurde geschossen, wie bei einer Schießübung, mit nur einem einzigen Schuss in den Rücken. Die Toten, die am Boden lagen, wurden in den kleinen Fluss geworfen, der nicht größer als unserer war, bis das seichte bräunliche Wasser sich blutrot zu färben begann. Auch der Rado trieb in dem roten Fluss mit dem hässlichen Gesicht nach unten. Bevor er erschossen wurde, hatte er mit seiner betörend schönen Stimme in einer ungeahnten Lautstärke gesungen, es war ein nie gehörter ungeheuerlicher Gesang, bestehend aus aneinander gereihten, scharf quietschenden Tönen, die über das Trommelfell wie Messerstiche in den Körper eindrangen. Er wollte die Aufmerksamkeit der Bewacher so lange an sich binden, bis den vier rothaarigen Teitelbaum-Söhnen die Flucht in die Wälder gelungen war.
    In Dombrowa, wohin das Mirele mit ihrer Familie geflüchtet war, übernachteten sie in einer großen Wohnung bei einer alten Tante, deren Kinder längst nach Palästina verzogen waren. Da war für alle Platz. Mirele, Jossel und die dicken Geschwister haben das erste Mal in ihrem Leben in so geräumigen Zimmern geschlafen.
    Mendel mit dem schwarzen Fleck hatte seinen Glauben an die Deutschen noch nicht verloren, hatten die Soldaten doch im ersten Weltkrieg geholfen, Frauen und Kinder aus brennenden Häusern in Sicherheit zu bringen. Und warum sollte sich ein so kultiviertes Volk bei einem erneuten Krieg plötzlich ändern. Mendel wollte nicht glauben, dass der Krieg diesmal ein ganz anderer sein würde.
    Dombrowa haben die deutschen Soldaten auch eingenommen, die haben Mendel zuliebe um Dombrowa keinen großen Bogen gemacht. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit, als die Männer zum Beten gehen wollten, hat es einen ohrenbetäubenden Lärm gegeben, und die Familie hat das Licht ausgemacht und ist in den Keller des Hauses verschwunden, nur das Mirele ist zum Schrecken der Eltern oben geblieben und hat sich in einen Vorhang bis zu den Augen eingewickelt. Mireles Augen haben aus der geblümten Gardine wie zwei kleine braune Knöpfe hervorgespäht. Kein Soldat, der von der Straße zum Fenster hochblickte, hätte in der geblümten Gardine, die so bewegungslos an Fenster hing, ein neugieriges junges Mädchen vermutet.
    Später, nach Lastwagen und Gewehren gefragt, gab Mirele als Auskunft, die hätten nicht anders ausgesehen als die von der polnischen Armee, vielleicht ein bisschen moderner und in der Farbe bläulichgrün, aber dafür fehlte die Kavallerie mit den Pferden. Nichts aber habe sie so erschreckt wie die beiden schwarzen Motorradfahrer. So große Männer auf Motorrädern habe sie noch nie gesehen, die hätten extra große Männer ausgewählt, um die armen Juden zu erschrecken. Die Männer seien in rasendem Tempo vorbeigefahren, sie waren rabenschwarz gekleidet mit riesigen Helmen und schwarz umrandeten Brillen. Sie führten die Kolonne an und überrollten alles, was sich ihnen in den Weg stellte.
    Wieder und wieder wurde Mirele von allen Familienmitgliedern gefragt, was sie gesehen hatte, und in ihrem Bericht sind die Männer auf den Motorrädern jedes Mal ein Stück gewachsen. Zum Schluss waren sie Riesen mit langen pechschwarzen Stiefeln, die stehend auf ihren Motorrädern vorbeirasten und blitzschnell die Reihe verließen, um willkürlich ein paar Passanten am Straßenrand zu erschießen, bevor sie sich
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