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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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Tür klopfen. Ich habe ihr längst verziehen. Wie sehr ich ihr rundliches Gesicht vermisse. Wie schön der lange Morgen mit ihr war, ich hätte jede kostbare Minute genießen sollen. Nach einer Woche halte ich es nicht mehr aus. Koby holt mich mit seinem Taxi ab, fährt mich zu ihr. Sie wartet in der Hotelhalle auf dem Sofa. Sie erkennt mich nicht mehr. Einen Moment lang kann ich vor Kummer kaum atmen, so tief sitzt der Schmerz. Warum nur hat sie sich von mir abgewandt? Zeigt sie mir die kalte Schulter, weil ich ihr nicht mehr von Nutzen bin? Ich hole ein paar Mal mühsam Luft, bis ich ruhiger atme. Ich beobachte sie. Kaum merklich glänzen ihre Augen. Sie fixiert mit ihrem Blick den nächsten Gast, einen lärmenden jungen Amerikaner, den sie für Bendzin gewinnen will. Sein unverschämt laut klingelndes Handy ist in der ganzen Hotelhalle zu hören. Frau Kugelmann lässt sich nicht irritieren. Sie folgt ihm. Sie wirkt hinfälliger, stützt sich beim Gehen auf einen neuen Stock. Das Treppensteigen ist ihr zu mühsam geworden. Mutig besteigt sie den Aufzug. Bendzin zuliebe hat sie sogar die Scheu vor dem Aufzugfahren überwunden. Sie fährt zu seinem Stockwerk hinauf. Bald wird sie an seine Zimmertür klopfen. Noch ahnt er nicht, dass er sein unentwegt klingelndes Handy für ein paar Stunden ausschalten wird.
    Als ich ein paar Tage später wieder das Hotel aufsuche, ist das Sofa leer. Den ganzen Tag halte ich mich im Hotel auf, lese Zeitung, warte auf sie. Ich sei die Erste, die nach ihr fragt, sagt der Portier. Keiner vermisse sie, obwohl er, seitdem er in diesem Hotel arbeite, sie täglich gesehen habe. Ich schrecke zusammen, verabschiede mich hastig und verlasse das Hotel. Von meinem Zimmer aus rufe ich Koby an und bitte ihn, ein paar Tage lang nur für mich zu arbeiten. Koby ist frühmorgens pünktlich zur Stelle. Wir fahren die Straßen rund um das Hotel ab, suchen vergeblich nach ihr. Niemand weiß, wo sie gewohnt hat. Wir klappern die großen Hotels am Strand ab, fragen bei der Polizei nach, in Altersheimen, Krankenhäusern, Sozialstationen. Es findet sich keine Spur. Die alte Dame scheint verschwunden zu sein. Wäre ich ihr doch nur heimlich gefolgt, dann wüsste ich jetzt, wo sie wohnt, hätte ich doch nur besser auf sie aufgepasst, nachts ihre Wohnung belagert, mit Kissen und Decke vor ihrer Wohnung kampiert, dann wäre sie mir nicht entwischt. Wer wird mir je wieder von Vaters Stadt erzählen? Übrig geblieben sind ihre schönen Erinnerungen. Ich zehre von ihnen. Sie sind das Erbe, das sie mir hinterlassen hat. Was mache ich nun damit? Als Frau Kugelmann noch bei mir war, verhielt ich mich großspurig und anmaßend. Jetzt falle ich haltlos in mich zusammen. Traurig setze ich mich an den kleinen zierlichen Schreibtisch, klappe steif die Ledermappe auf, in der sich lose Papierbögen mit dem fettgedruckten Briefkopf des Hotels befinden. Dann greife ich nach dem Kugelschreiber. Versuche einen ersten Satz. Mir will kein Anfang gelingen, gerade so, als verbiete mir Frau Kugelmann, über Bendzin zu schreiben. Sie wacht über ihre Stadt.
    Seit einigen Wochen schon versuche ich erfolglos einen Satz zu Papier zu bringen. Täglich beuge ich mich vergebens über das leere Blatt. Schreibe drei Worte, streiche sie verärgert wieder aus. Plötzlich, eines Morgens, ganz unverhofft, stehen einige Sätze da, die mir gefallen. Ich starre einen Augenblick darauf, kann mein Glück nicht fassen. Dann schreibe ich das erste Blatt voll, schreibe weiter ohne Unterlass. Langsam entsteht die junge Bella Kugelmann auf dem Papier, heiter und glücklich, wie ich sie einst in Bendzin sehe. Mein Handgelenk schmerzt. Getrieben von der Angst, Bella Kugelmann könne mir wieder entgleiten, schreibe ich durch den Schmerz hindurch, gönne mir nachts nur wenige Stunden Schlaf, stehe nur noch vom Schreibtisch auf, um die Tür auf ein verabredetes Klopfen hin zu öffnen. Das Zimmermädchen sammelt auf dem Stockwerk Papierbögen für mich ein. Koby bringt mir kopfschüttelnd einen neuen Stapel ins Zimmer. Ich aber habe nur Augen für Bella. Sie ist ganz nahe bei mir. Ich sehe sie die Kollontaja entlanglaufen, rechts und links freundlich grüßend. Wie lustig sie mit ihren dicken schweren Zöpfen wippte! Mit welcher Freude sie einst in Bendzin lebte! Ihre Lebenslust steckt mich an, ermutigt mich, richtet mich auf. Ein wenig von ihr stibitze ich mir für mein Leben.
    Ein milder Winter löst den heißen Sommer ab, er ist durchsetzt von warmen,
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