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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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beschwerlich wird? Dem Portier sagen, dass mir allein schon deshalb zur Belohnung das schönste Zimmer mit Meeresblick gebührt, weil ich vor Antritt dieser Reise den anstrengenden Versuch unternommen habe, mich von meiner eiskalten grünen Leidenschaft zu befreien? Denn ich bin süchtig. Genauer gesagt bin ich tiefkühlkostsüchtig. Die Sucht nach tiefgefrorenem Gemüse treibt mich drei Stunden nach Mitternacht, nach einem kurzen, traumlosen Schlaf, in die Küche. Ich reiße in einem fort tiefgefrorenes Gemüse aus der Verpackung, zermalme knirschende Eisplättchen mit meinen bloßen Händen, schabe Bohnen aus ihrer eisigen Kruste, löse Mais und Brokkoli aus ihrer Eiskristallverkettung, reibe liebevoll die ineinander verkeilten Gemüseteilchen, bis sie wie einsame Monaden auseinander fallen, dann stopfe ich das erstarrte vorgegarte Gemüse in meinen Mund. Ich habe gierige Nächte mit mir erlebt, in denen keine einzige Tiefkühlpackung meiner Lust standhalten konnte, und ich habe, da alle Köstlichkeiten verzehrt waren, aus Verzweiflung die leeren Packungen wieder tiefgefroren und zur Linderung auf mein hochrotes Gesicht gelegt. Erst das fahle Licht des Morgens ernüchtert mich so weit, dass ich mich mit aufgeblähtem Bauch und zitternden Händen wieder zur Ruhe begeben kann.
    Ließe ich meiner eiskalten Leidenschaft die Oberhand, so würde ich im Supermarkt in einer mannshohen Tiefkühltruhe hausen, den Kopf auf eine Kühltasche gebettet, umgeben von angebrochenen Packungen wie eine vereiste Königin im Schlaraffenland der Tiefkühlwaren.
    »Ich verlange eine Gegenüberstellung mit Ausweis und Reservierungsnachweis!«, sagte ich dem Portier mit lauter, schneidender Stimme. »Bitte seien Sie doch vernünftig, wir sind ein Hotel und keine Polizeidienststelle«, antwortete dieser ungerührt.
    Wenn ich laut genug schreie, dachte ich, wird die andere Silberberg aus meinem Zimmer herauskommen und sich mir mit dem Namen vorstellen, den ich seit meiner Geburt trage. Wir werden dann sehen, wer die richtige Zippy Silberberg ist, ob ich ich bin und es weiterhin bleiben kann oder ob sie es ist, die mich ab jetzt übernommen hat. Es werden sich in Windeseile unter den Hotelgästen drei Parteien bilden, die lautstark gegeneinander argumentieren, zugunsten des Portiers, gegen die falsche Silberberg oder gegen mich. Die Hotelgäste werden sich gegenseitig in Rage bringen, sich immer wüster beschimpfen und sich am Ende mit Strandtaschen, Zeitungen und Fotoapparaten bewerfen, die Halle in ein Schlachtfeld verwandeln, wo Blut ohne Ende fließt und die Verletzten von den herbeigerufenen Ärzten versorgt werden, bevor man sie in die umliegenden Krankenhäuser abtransportiert.
    »Ich bestehe auf meinem reservierten Zimmer«, sagte ich.
    »Sie bekommen ein besseres Zimmer zum halben Preis, eine ganze Kategorie höher, in einem anderen Hotel«, versprach der Portier, der mir ansah, dass ich gleich zu schreien anheben würde. Er telefonierte hinter vorgehaltener Hand und reichte mir dann eine Visitenkarte mit Namen und Adresse eines benachbarten Hotels.
    »Gehen Sie, gehen Sie schon, Sie werden zufrieden sein«, sagte er väterlich aufmunternd zu mir. Der Hotel-boy trug bereits den Koffer zur Tür hinaus, und ich eilte mit meinem Handgepäck hinterher.
    Gibt es etwa eine andere Silberberg aus Nürnberg oder Darmstadt, die für den gleichen Zeitraum ein Zimmer reserviert hat und nun mein Zimmer bewohnt, oder heißt sie Silberstein und hat dem Portier zwanzig Dollar in die Hand gedrückt, damit er ihr ein Zimmer überlässt, und er hat ihr meines gegeben, weil unsere Namen sich ähneln? Hätte ich Goldberg geheißen, dann hätte ich längst mein Zimmer bezogen und wäre womöglich um ein einziges, winziges, feines, aus einem vollen Schopf herausgerissenes Haar Frau Kugelmann niemals begegnet.
    Als ich Frau Kugelmann das erste Mal sah, dachte ich, sie könnte gar nicht anders als Frau Kegel oder Frau Kugelmann heißen. Alles an ihr ist rund, kugelrund, Augen und Ohren, Kopf, Hüften, Beine, Bauch. Gerade so, als hätte man Kugeln aneinander gesetzt, kleine und große für Kopf und Körper und ein paar langgezogene für Arme und Beine. Einzig die Falten in Frau Kugelmanns Gesicht rebellieren gegen die rundliche Ordnung. Sie gehen eigene Wege und graben tiefe Furchen, wo immer sie wollen. Ja, und ihre Schuhe haben auch eine andere Form, es sind große ovale Schalen mit Riemchen, orthopädische Sandalen, die aus irgendeiner deutschen
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