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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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verschwundenen Schüler wieder da.
    Das geht so lange, bis unsere Stadt wieder erstanden ist, so wie sie früher war, eine fleißige jüdische Kleinstadt in den dreißiger Jahren mit Blick auf die nahe deutsche Grenze, in enger Nachbarschaft zu Schlesien, inmitten des rührigen Kohlenreviers, in Zaglembie, wie melodisch dieser Name noch immer für uns klingt.«
    »Wir«, beeilt sich Frau Kugelmann fortzufahren, »die stolze Polin, der schlaue Gonna und ich, wohnten alle in der Malachowskiegostraße, nur ein paar Häuser voneinander entfernt. Fettauge wohnte in einem ganz vornehmen Haus, Tür an Tür mit dem Palast vom Fürstenberg, dem wir unsere Schule verdankten. Mietek, der Pechvogel, wohnte ein ganzes Stück weiter entfernt, in einem der ärmlichen, heruntergekommenen Hinterhöfe, die kein Fremder hinter der prunkvollen, reich verzierten Häuserfront vermutete. Der schöne Adam aber wohnte außerhalb, droben bei den Polen, in der Nähe der Seifenfabrik seines Vaters. Ach, fast hätte ich es vergessen, Kotek, mein bester Freund, wohnte auch in der Malachowskiego, ein wenig höher als wir, direkt am Platz, nach dem dritten Mai benannt, dem Tag, an dem sich der freie polnische Staat eine eigene Verfassung gab.
    Zwei Hauptstraßen hatten wir, so richtige Paradestraßen, die prächtige Malachowskiego und die elegante Kollontaja, die breit genug waren, um ganze Regimenter, wenn der Staat es wollte, an Festtagen hin- und hermarschieren zu lassen. Von der Kollontajastraße aus konnte man durch die Lücken zwischen den Häusern die Synagoge sehen. Sie stand auf einem kleinen Hügel, mitten im frommen Viertel, nicht weit von den bunten Märkten, wo die Händler aus den Dörfern nicht müde wurden, ihre Waren anzupreisen, so dass die Stimmen sich gegenseitig übertönten und abgedämpft wie ferne Kinderstimmen zu uns herüberschallten. Oberhalb des Berges war die alte Burg des Königs Kazimierz zu sehen mit ihrer riesigen herrschaftlichen Parkanlage, und gleich dahinter, den Berg hinunter terrassenförmig angelegt, inmitten herrlicher Bäume, unser alter, karger Friedhof mit den Grabsteinen und den hebräischen Inschriften, alle nach Osten, nach Jerusalem ausgerichtet. Und der christliche Friedhof, abgetrennt durch einen schmalen Weg, mit Kreuzen und Blumen, sauber angelegt, dicht daneben. Ja, und noch ein wenig tiefer im Armenviertel konnte man, wenn es ganz ruhig war, unseren Fluss hören, die Schwarze Przemsza. Sie schmiegte sich ganz zart an unser Ufer und trieb mit großem Vergnügen das dunkle Wasser der Kohlengruben aus dem Nachbarstädtchen Dombrowa leise plätschernd zu uns hinüber.

Der Zaubermantel
    Am Vormittag, wenn wir in der Schule waren, gehörten unsere Paradestraßen den Erwachsenen. Viele auswärtige Besucher kamen zu uns, vor allem Schlesier, um günstig Waren zu erstehen. Auch die Bauern der Umgebung kauften bei uns ein. Einer von den Geschäftsinhabern auf der Kollontaja, der Jacob Teitelbaum, war so ein richtiger Bauernfänger, aber keiner wusste wirklich genau, warum. Er war der beste und schnellste Verkäufer der Stadt. Das karmesinrote, wildgelockte Haar kurzgeschnitten und straff zurückgekämmt, stand er schmal und servil, kaum wahrnehmbar inmitten seiner Konfektionsständer.
    Teitelbaum ließ seine armen jungen Verwandten, die krausköpfigen, safrangelben Brüder Samek und Poldek Teitelbaum, für ein paar Groschen auf der Straße als Rufer arbeiten. Sie schrien und gestikulierten, hielten Passanten an und lockten sie mit schmeichelnden Worten in Teitelbaums Laden. Kaum hatten sie einen Bauern für den Teitelbaum eingefangen, so verließ der binnen kürzester Zeit mit einem neu erworbenen Mantel das Geschäft, ja, er lief in Windeseile davon. Das Überraschende bei dem rasenden Einkauf war, dass der Bauer sein neu erworbenes Kleidungsstück gleich übergezogen hatte. Sogar bei der allergrößten Hitze behielten die Bauern ihren dicken, flauschigen, frisch gekauften Wintermantel an. Wie das kam?
    Also, das war so. Der Teitelbaum hatte immer einige Bündel Geldnoten zur Hand. Wenn ein Bauer, aber kein Städter wohlgemerkt, einen Mantel verlangte, schob er blitzschnell zwei Banknoten in eine Manteltasche. Dann half er dem Kunden in den präparierten Mantel. Sobald der Bauer in die Manteltasche fasste, lachten ihn die herrenlosen Scheine durch den dichtgewebten Stoff an, und die Verzauberung begann. Behielt der Bauer den Mantel gleich an und wollte möglichst schnell verschwinden, ohne den Preis
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