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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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ankündigt, allen Organisationen, ob frei oder fromm, einen Viert Kohle von seinen Kohlegruben zukommen, mit dem man fast den ganzen Winter heizen konnte, so ein wohltätiger Mann war er. Fürstenberg, stets mit einem karierten Taschentuch zur Hand, mit dem er seine immerfort tränenden roten Augen wischte, hatte einen sicheren Blick für den Ankauf maroder Fabrikgelände. Er parkte sein edles, dunkelblaues Automobil, das er eigenhändig fuhr, mitten auf dem Gelände, stieg aus, inspizierte das Gebäude, ging in sich und achtete auf den Tränenfluss seiner Augen. Versiegte der Tränenfluss, so wusste er, dass die heruntergekommene Fabrik, für die keiner einen Pfifferling gab, sich bald in eine Goldgrube verwandeln würde, den Arbeitern Lohn und Brot, der Stadt Prosperität und ihm, dem reichen Fürstenberg, noch mehr Geld einbringen würde, und so kaufte er sie dem verdutzten Besitzer auf der Stelle ab.
    Fürstenberg war ein Mann mit Visionen, er glaubte an die Erziehung einer neuen jüdischen Generation. Er war geradezu vernarrt in den Gedanken, aus jüdischen Kindern gute, fortschrittsgläubige Juden zu machen. Seine eigenen Kinder allerdings ließen sich von ihm trotz Drohungen und Strafen nicht auf den rechten Weg bringen. Sie bereiteten ihm eine bittere, herbe, tief schmerzende Enttäuschung. Aus seinem faulen Sohn Schlomo, einem Wodkatrinker und Kartenspieler, der nur nachts auflebte und dafür tagsüber schlief, konnte Fürstenberg keinen anständigen Juden machen. Und seine Tochter Gutka, ein wohlgeratenes, graziles Mädchen, an dem er anfangs viel Freude hatte, heiratete zu seinem Entsetzen einen kräftigen christlichen Polen, der als Packer in Fürstenbergs Lackfabrik arbeitete. Nach der Heirat mit dem Polen wurde Gutka aus dem Palast ihrer Eltern verstoßen.
    Fürstenberg wollte sich seinen Traum aber nicht von seinen missratenen Kindern zerstören lassen. Er enterbte sie kurzerhand und spendete der Jawneschule einen Teil seines Vermögens. Die Jawneschule, meilenweit entfernt von den orthodoxen Religionsschulen mit ihrer alten Denkdisziplin, war weltlich, modern und auf den Fortschritt hin ausgerichtet. Dafür war sie, fast könnte man sagen zur Strafe, im obersten Stockwerk eines baufälligen Gebäudes untergebracht, in so uralten, hässlichen, unhygienischen Räumen, dass es die Schüler beim Unterricht nur so grauste. Im Treppenhaus allerdings hatten sie morgens ihr Vergnügen, denn in jedem Stockwerk gab es etwas Lustiges zu sehen. Im ersten Stock unterrichtete der Sali Maiteles die Bendziner Dienstmädchen im Gesellschaftstanz. Sie kamen an ihrem freien Tag zu ihm, um für ein paar Groschen das Tanzen zu erlernen. Maiteles, dürr, mit weißem wallenden Haar, gebärdete sich schulmeisterlich streng, doch wer in seine Nähe kam, konnte in seinen unruhigen Augen eine armselige Angst entdecken. Es war die scheue Angst eines gejagten Menschen. Den großen Hut trug er schräg in die Stirn gezogen, um das gepuderte Gesicht abzudecken. Und wenn man nur lange genug blieb, gab es schon mal ein paar Rüschen an seinem Bein zu sehen, das freute die Kinder sehr. Was wussten wir denn schon, was mit ihm war.
    Ein Stockwerk darüber residierte der ehrenwerte Sportverein Hakoach. Die Schüler träumten davon, eines Tages in diesem bedeutenden Verein Mitglied zu sein. Vorerst aber stellte ihnen der Sportverein nur die Räume für den Turnunterricht zur Verfügung. Im vorletzten Stockwerk waren die Schuster und Schneider untergebracht, ihnen wurde bei der Arbeit zugeschaut, bis zum allerletzten Läuten, und manchmal, wenn es wenig Arbeit gab, durften sie die Nadel durch ein Stück Stoff ziehen.
    Fürstenberg fand, man könne bei so einem Lebensunterricht die Jawneschüler niemals zu guten Juden mit modernem Weitblick erziehen. Und weil sie sich geistig und körperlich frei entfalten sollten, baute er für sie ein prächtiges Schulgebäude, dreigeschossig, hell, mit hohen Fenstern, einem großzügigen Pausenhof und einem einladenden Sportplatz. Kurz, das modernste Gebäude unserer Stadt, auf das wir alle stolz waren und deshalb unser Fürstentum nannten. Wir Schüler benutzten bescheiden den Seiteneingang, während unsere hochgeschätzten Lehrer und der Ehrfurcht einflößende Herr Direktor unser kleines Königreich wie Aristokraten durch das weitgeschwungene verglaste Hauptportal betraten.«
    »Ach, hören Sie auf, Frau Kugelmann«, unterbreche ich sie, »Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie Ihre Schule
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