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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann
Autoren: Minka Pradelski
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hat an seinem Ranzen einen Halter für eine Wasserflasche. Wir Erwachsenen trinken bis zu acht Gläser am Tag. Ich habe uns eine Flasche tiefgekühltes Wasser mitgebracht, damit wir einige Stunden lang eiskaltes erfrischendes Wasser in aller Ruhe trinken können.«
    »Aber es gibt doch eiskalte Getränke im Hotelkühlschrank«, protestiere ich kleinlaut. »Sie müssen kein Wasser von zu Hause mitbringen.«
    »Ich kenne die Preise in diesem Hotel. Sie werden sich wundern. Am Ende werden Sie froh sein, mein Wasser zu trinken«, sagt sie fast komplizenhaft zu mir.
    Frau Kugelmann stellt ihre bauchige, eisgekühlte, anderthalb Liter schwere Einwegflasche mit dem zerschlissenen Etikett auf den Tisch. Die Flasche ist bestimmt uralt, denke ich. Irgendwann, an einem verschwenderischen, glücklichen Tag, hat Frau Kugelmann vermutlich im Supermarkt eine Sechserpackung Mineralwasserflaschen erstanden, die sie nun eifrig mit Leitungswasser auffüllt, um für den leichtsinnigen Augenblick Buße zu tun. Denn Frau Kugelmann sieht es als Verschwendung an, Mineralwasser zu kaufen, wenn das Wasser frei Haus aus den Hähnen fließt. Wie viele ältere Damen in Israel hat sie die Sparsamkeit aus den Jahren der großen Armut nach der Staatsgründung beibehalten.
    Frau Kugelmann holt ein Tablett mit zwei kleinen Gläsern, das auf dem Schreibtisch steht, und gießt das am Flaschenhals schmelzende, mit Eisperlen durchsetzte Wasser in mein Glas. Ich lehne empört ab. Wenn ich Durst habe, trinke ich lauwarmes Wasser aus dem Hahn, gifte ich. Sie blickt mich verständnislos an, begreift nicht, weshalb ich so vehement ihr gutes Wasser verschmähe.
    »Wer nicht will, der hat schon«, brummt sie beleidigt, verschraubt kopfschüttelnd die Flasche.
    Ich lasse mich doch nicht von einem primitiven Glas Eiswasser in Versuchung führen. Selbst wenn sie mir einen zitternden, vereisten, mundgerecht servierten tiefgefrorenen Gemüseberg, umrandet von kleinen Eiskügelchen, auf einem silbernen Tablett ins Zimmer brächte, ich rührte ihn nicht an. Niemand soll erfahren, dass ich trotz meiner erfolgreichen Entwöhnung an nichts anderes als an einen glänzenden, beinharten Eiszapfen denken kann. Vor allem muss ich mich vor der hinterlistigen Silberberg hüten, die, weil sie meine Gelüste ergründet, mit dem nackten Finger auf mich zeigt. Sie scheut sich nicht, mich in ihrer verderbten Bösartigkeit mitten in der Hotelhalle bloßzustellen.
    »Nein danke«, wehre ich ab, als Frau Kugelmann mir nochmals Eiswasser anbietet, ehe sie sich ein zweites Glas einschenkt.
    »Ich mag nichts trinken, ich will nur zuhören. Fangen Sie ruhig an«, sage ich betont freundlich. Ich schäme mich, die alte Dame in meine Not hineingezogen zu haben. Möge sie mir verzeihen, dass ich sie so zu Unrecht verdächtigt habe. Ich werde jetzt ganz Ohr für sie sein. Wie nannte sie gestern einen ihrer Kameraden? Schöner Adam. Ob ich ihn wohl schön gefunden hätte? Ich glaube kaum, vermutlich hätte ich ihn auf der Straße glatt übersehen. Von wem wird sie heute erzählen? Vom edlen, spendablen Fürstenberg, wie er ein Waisenhaus für verwahrloste Kinder errichtete? Was gibt es überhaupt noch über diese Stadt zu berichten? Geduld, beruhige ich mich, fasse dich, ich kann dieses Zusammensein, wann immer ich es will, beenden.
    Frau Kugelmann ist sichtlich erleichtert über meinen geringen Widerstand. Sie trinkt ihr Glas leer, lehnt sich einen Augenblick in ihrem Stuhl zurück, berührt mit den Fingerspitzen Kinn und Hals, wandert mit den Händen zur Stelle, an der sich einst der dickste Teil ihrer langen blonden Zöpfe befand, dreht so lange, bis ich langsam die Augen schließe.

Unsere Schwänzer
    »In unserem Fürstentum«, beginnt sie, »hatte das Schwänzen Tradition. Bereits die Erstklässler wurden von den Älteren in die Kunst des Schwänzens eingeweiht. Ein unsichtbarer Schatz an Erfahrungen wurde von einem zum anderen weitergereicht, die Sprache des Schwänzens, die Gebräuche des Verschwindens, Handzeichen geben, Spickzettel weiterreichen, sich vielsagende Blicke zuwerfen, gegenseitig Mut machen, dann – das plötzliche Verschwinden und die lautlose Wiederkehr. Schon die Jawne-Schüler, unsere Vorgänger, übten sich im Schwänzen, ja, sie erfanden sogar das Schwänzen am Fluss. Damals beschloss eine ganze Klasse, eine Gruppe von zehn, sich eine Freistunde zu genehmigen. Man formierte sich frühmorgens, geradezu wie bei einem Schulausflug, diszipliniert in einer
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