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Ausgetanzt

Ausgetanzt

Titel: Ausgetanzt
Autoren: Anni Bürkl
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Eins
Tee der weisen Frauen
    Immer dunkler wurde der Himmel über dem Hochtal,
während Berenike aufwärts strebte. Eben erst war sie bei goldenem Abendlicht
durchs liebliche Hallstatt gefahren und dann mit der letzten Salzbergbahn
heraufgekommen. Das letzte Stück des Weges ging es zu Fuß weiter. Vor Kurzem
hatte Caro, ihre Lehrerin für ›Tänze der keltischen Ahninnen‹, Berenike nach
dem Kurs auf ihren Salon für Tee und Literatur angesprochen. Ob sie sich
vorstellen könne, bei einer kleinen Veranstaltung Tee auszuschenken. Details
hatte die Tanzlehrerin zuerst nicht verraten wollen. Sie war sich durch die
roten Haare gefahren und hatte Berenike dann zu absolutem Stillschweigen
verpflichtet. Dumme Kommentare von Uneingeweihten würden die Magie des Ortes
und der geplanten Zeremonie zerstören. ›Natürlich‹, hatte Berenike genickt. Sie
konnte sich dem Zauber mancher Dinge selbst nicht entziehen. Erst danach hatte
Caro mehr erzählt. Und was sie angekündigt hatte, klang toll.
    Es sollte eine intime Tanzvorführung geben, exklusiv für
Frauen. Ein Tribut an die großen Göttinnen, dazu Rituale aus alter Zeit.
Berenike, einem kleinen Zusatzgeschäft niemals abgeneigt, hatte den Vorschlag
erfreut angenommen. Sie würde einen Reception Tea vorbereiten, etwas ganz
Edles. Heute, in der Nacht des Schnitterinnenfestes vom 31. Juli auf den 1.
August, fand das Fest statt. Caro zufolge war es früher auch als Leinernte oder
Kornmuttertag bekannt. Ein Mondfest, das die künftige Ernte feiern sollte, die
goldenen Garben, die Mutter Erde ihren Kindern schenkte. Deshalb wurden auch
besondere Brote gebacken. Dies sei der beste Zeitpunkt, um überall dort einen
harten Schnitt zu setzen, wo es sein musste. Gerade Frauen sollten das
erkennen, geknechtet, wie die meisten von ihnen seien, hatte Caro gemeint und
Berenike dabei intensiv angesehen. Als Abschluss, so viel hatte die
Tanzlehrerin verraten und dabei beiläufig ein paar schwierig aussehende
Dehnungsübungen gemacht, würden sie gemeinsam ein Kornweiblein aus reifen Ähren
flechten, das Material dafür würde Caro mitbringen. Diese Vorstellung gefiel
Berenike besonders. Auch wenn etwas an Caros Verhalten sie stutzig gemacht
hatte. Was das sein mochte, Berenike hätte es nicht sagen können. Doch sie war
gern in der Natur und mit anderen zusammen. Beides kam wegen der vielen Arbeit
jetzt in der Hochsaison sowieso zu kurz, also hatte sie umso lieber zugesagt.
    Berenike hielt kurz inne, um die Wegbeschreibung zu
rekapitulieren. Nach dem Denkmal für die keltischen Gräber sollte sie bei einer
zweistämmigen Buche links abbiegen. Feuchte Grashalme kitzelten sie an den
Knöcheln, hatte sie doch die Hose, die sie zum roten T-Shirt und der Lederjacke
trug, wegen der Hitze ein wenig aufgekrempelt. Der Weg war mehr ein Trampelpfad
und kaum noch zu erkennen. Zudem war hier das Blätterdach dicht,
Brombeerpflanzen und Brennnesseln eroberten sich ihr ursprüngliches Terrain zurück,
etwas riss schmerzhaft an Berenikes Haut, eine Haarsträhne blieb an einem Zweig
hängen. Die Haare waren ein wenig gewachsen, hingen ihr bis in den Nacken, was
eigentlich zu warm war für den Sommer. Berenike befreite sich, ein einzelnes
schwarzes Haar blieb an dem Busch hängen. Die Dämmerung kam jetzt schnell.
Berenike konnte kaum noch etwas erkennen, also kramte sie nach der Taschenlampe
und schaltete sie ein. Berenike lauschte auf die Geräusche des Waldes. Ganz
ohne Begleitung war sie jetzt hier, kein Ausflügler war um diese Uhrzeit noch
unterwegs, keine Schulklasse strömte mehr zum Salzbergwerk. Eigentlich war sie
gern allein unterwegs, und dank Karate fühlte sie sich meistens sicher. Auch
wenn sie vor Jahren in Wien ein furchtbares Erlebnis gehabt hatte, als ein
damaliger Kunde in ihrem Job als Eventmanagerin sie attackiert hatte. Heute war
die Sache vergangen und verjährt, sie musste damit leben.
    Dieses schmerzhafte Ereignis hatte sie letztlich zur
Aussteigerin werden lassen, die im Salzkammergut einen Teesalon eröffnete. Das
war vor bald zwei Jahren gewesen. Berenike tastete nach ihrem linken Auge, wie
so oft, wenn sie sich angespannt fühlte. Sicher sah man auch jetzt, dass dieses
Auge schiefer war als das andere. Sie dachte wieder an jene bewusstseinserweiternde
Indienreise vor Jahren. Damals hatte ihr ein geheimnisvoller Mann klarzumachen
versucht: ›Du bist zur Schamanin geboren‹. Doch was sollte man mit so einer
Veranlagung mitten im Europa des 21. Jahrhunderts anfangen?
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