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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten
Autoren: Julian Barnes
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oder ist das einfach nur Glück? Aber vermutlich könnte man sagen, es sei Glück, so ein Talent zu haben. Als ich Mum gegenüber erwähnte, dass Janice und ich momentan Probleme haben und an unserer Ehe arbeiten wollen, sagte sie:
    »Ich habe nie recht verstanden, was das heißen soll. Wenn man seine Arbeit liebt, kommt sie einem nicht wie Arbeit vor. Wenn man seine Ehe liebt, kommt sie einem nicht wie Arbeit vor. Vielleicht arbeitet man ja daran, innerlich. Es kommt einem nur nicht so vor«, wiederholte sie. Und dann, nach kurzem Schweigen: »Nicht, dass ich irgendwas gegen Janice sagen will.«
    »Reden wir nicht über Janice«, sagte ich. Ich hatte mit Janice selbst schon genug über Janice geredet. Egal, was wir in diese Ehe eingebracht hatten, wir nahmen todsicher nichts daraus mit außer unserem gesetzlichen Vermögensanteil.
    Man würde doch meinen, das Kind einer glücklichen Ehe sollte selbst eine überdurchschnittlich gute Ehe führen – ob aufgrund des genetischen Erbes oder weil es am guten Beispiel lernen konnte. Doch offenbar funktioniert das nicht so. Also braucht man vielleicht das gegenteilige Beispiel – man muss Fehler sehen, damit man sie nicht selbst macht. Das würde allerdings heißen, dass Eltern dann am besten für eine glückliche Ehe ihrer Kinder sorgen, wenn sie selbst eine unglückliche führen. Wie lässt sich das lösen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht meinen Eltern die Schuld gebe; und eigentlich gebe ich auch Janice nicht die Schuld.
    MeineMutter versprach, zu ihrem gemeinsamen Hausarzt zu gehen, wenn Dad wegen seiner Anosmie einen Spezialisten aufsuchte. Typischerweise sträubte sich mein Vater. Anderen gehe es viel schlechter als ihm, meinte er. Er könne immer noch schmecken, was er esse, während ein Abendessen für andere Anosmiker so sei, als kauten sie auf Pappe und Plastik herum. Er sei ins Internet gegangen und habe von noch extremeren Fällen gelesen – zum Beispiel von olfaktorischen Halluzinationen. Man stelle sich vor, frische Milch rieche und schmecke auf einmal sauer, Schokolade erzeuge Brechreiz, Fleisch sei nichts weiter als ein Schwamm voller Blut.
    »Wenn du dir den Finger ausrenkst«, erwiderte meine Mutter, »weigerst du dich doch nicht, den untersuchen zu lassen, bloß weil sich andere ein Bein gebrochen haben.«
    Und so wurde es abgemacht. Die Warterei und der Papierkrieg begann, und am Ende gingen beide in derselben Woche zur MRT – Untersuchung. Seltsamer Zufall, finde ich.
    Ich weiß nicht, ob wir je genau sagen können, wann unsere Ehe am Ende ist. Wir erinnern uns an bestimmte Phasen, Übergänge, Streitereien; Unvereinbarkeiten, die wachsen, bis man sie nicht mehr auflösen oder damit leben kann. Ich glaube, ich habe in der Zeit, als Janice über mich herfiel – oder, wie sie sagen würde, als ich sie nicht mehr beachtete und einfach nicht mehr da war – lange nicht gedacht, das sei das Ende unserer Ehe oder werde es herbeiführen. Erst als Janice, aus keinem mir ersichtlichen Grund, meine Eltern attackierte, dachte ich zum ersten Mal: Also wirklich, das geht jetzt zu weit. Ja, wir hatten getrunken. Und ja, ich hatte das mir selbst auferlegte Limit überschritten –weit überschritten.
    »Eins deiner Probleme ist, dass du glaubst, deine Eltern führten die perfekte Ehe.«
    »Wieso ist das eins meiner Probleme?«
    »Weil du deine eigene Ehe deshalb für schlechter hältst, als sie wirklich ist.«
    »Aha, dann ist das also ihre Schuld, ja?«
    »Nein, die sind schon in Ordnung, deine Eltern.«
    »Aber?«
    »Ich sag doch, die sind schon in Ordnung. Ich sag bloß nicht, dass ich ihnen in den Arsch kriechen muss.«
    »Du glaubst nicht, dass du irgendwem in den Arsch kriechen musst, oder?«
    »Na, muss ich auch nicht. Aber deinen Vater mag ich, der war immer nett zu mir.«
    »Soll heißen?«
    »Soll heißen, Mütter und ihr einziger Sohn. Muss ich noch deutlicher werden?«
    »Ich glaube, das war deutlich genug.«
    Ein paar Wochen später rief Mum an einem Samstagnachmittag ziemlich aufgeregt hier an. Sie war zu einem Antiquitätenmarkt in einer nahe gelegenen Stadt gefahren, um ein Geburtstagsgeschenk für Dad zu besorgen, hatte auf dem Rückweg eine Reifenpanne gehabt, konnte den Wagen noch bis zur nächsten Tankstelle fahren und musste dort die – nicht allzu überraschende – Feststellung machen, dass die Kassierer nicht von ihrer Kasse weg wollten. Wahrscheinlich wussten sie sowieso nicht, wie man einen Reifen wechselt. Dad habe
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