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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß
Autoren: Stefan Wolf
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Federn nistet: schreckliche Keime.
Vielleicht kriegen wir Lungenentzündung. Tim, du siehst schon ganz gelb aus.
Lungengelb! Und das alles, Herr Studienrat, geschieht auf Ihre Anweisung.“
Sekundenlang war Elwe verblüfft.
    Dann hob er die Brauen.
    „Du durchtriebener Bursche! Der Staub
bringt euch nicht um.“
    „Niemals!“ rief Tim. „Und ich weiche
auch keinen Zentimeter zurück. Ich nehme den Kampf auf. Mein Wille wird siegen.
Wenn ich es jetzt schaffe, ohne zusammenzubrechen, bin ich für immer geheilt.
Wenn nicht — ja, dann wird es bedrohlich.“
    „Um Himmels willen“, sagte Elwe, „wovon
redest du?“
    „Nichts, Herr Studienrat. Ich will Sie
wirklich nicht beunruhigen.“
    „Wovon du redest, will ich wissen!“
    „Ach, ich leide seit Säuglingszeiten an
einer lebensgefährlichen Stauballergie (krankhafte Überempfindlichkeit). Besonders Haus- und Gefiederstaub bringt mich an den Rand des Zusammenbruchs.
Aber ich schone mich nicht. Ich bin hier mit Freude dabei. Sollte ich bewußtlos
werden, brauchen Sie nur den Notarzt zu rufen, Herr Studienrat.“

    Kopfschüttelnd stellte Elwe einen
Glaskasten beiseite, in dem sich aufgespießte Schmetterlinge befanden:
Tagfalter. Und zwar: Admiral, Tagpfauenauge, Aurorafalter, Trauermantel,
Bläuling und Totenkopfschwärmer. Der letztere war aus Versehen hineingeraten, denn
es handelte sich um einen Nachtfalter.
    „Ihr seid ganz ausgebuffte Halunken“,
meinte Elwe. „Soll ich nun weichwerden und euch gehen lassen? Oder soll ich abwarten,
bis Willi seine Lungenentzündung kriegt und Tim bewußtlos wird. Hm, was meinst
du, Dracula?“
    Die Frage galt einer Ohrenfledermaus.
    Sie wurde von allen — auch den Paukern
— so genannt und hockte mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Holzsockel:
zweifellos einer der häßlichsten Insektenfresser, die das Bio-Zimmer vorweisen
konnte.
    Tim legte eine Hand hinters Ohr.
    „Dracula flüstert sehr leise. Aber ich
verstehe ihn. Er fragt, warum wir noch nicht weg sind.“
    „Das frage ich mich auch“, nickte Elwe.
„Was wollt ihr hier noch? Den Rest schaffe ich allein. Bin ich doch der
einzige, der den Staub verträgt.“
    Ihr seid gerettet, ihr Glaskästen,
dachte Tim.
    „Danke, Herr Studienrat“, riefen dann
beide und zischten zur Tür.
    Auf dem Flur sagte Klößchen: „Den haben
wir eingeseift, was! Wart einen Moment! Ich sause nur mal rasch auf die Bude.“
    „Weshalb?“
    „Na, Wegzehrung. Eine Tafel Schoko
brauche ich. Bis zum Seehotel ist es weit und...“
    „Mach einen Punkt! Dort warten Unmengen
von Gegrilltem auf dich. Jan und Tanja erwarten, daß du zuschlägst wie es dein
Ruf als stärkster Esser erfordert. Willst du dich blamieren?“ Klößchen sah ihn
unsicher an. „Nur eine Tafel! Ich schaffe trotzdem mindestens sechs Bratwürste
und etliche Bouletten.“
    „Zu wenig! Komm! Außerdem geht’s um
jede Sekunde. Wenn wir noch später kommen, sind die Köstlichkeiten verkohlt
oder kalt und taugen nur noch für Oskar.“
    Das leuchtete Klößchen ein.
    Sie rannten zum Fahrradschuppen, holten
ihre Tretmühlen und preschten los: durchs Tor, aber dann gleich westwärts über
die Felder, also nicht in Richtung Stadt.
    Tim drückte aufs Tempo, blieb aber in
Klößchens Bereich. Daß er ihn nicht abhängte, war selbstverständlich.
    Nach langer Fahrt erreichten sie den
Wald und folgten der schmalen Straße tiefer und tiefer in den Naturpark.
    Sie fuhren nebeneinander.
    „Weißt du eigentlich“, fragte Tim, „daß
Jan vorbestraft ist?“
    „Wie bitte? Nein! Er hat im Zuchthaus
gesessen?“
    „Das natürlich nicht. Aber der
Jugendrichter hat ihm, als er gerade 15 war, mehrmals einen Wochenend-Arrest
aufgebrummt. Ein Arrest ist eine leichte Freiheitsstrafe.“
    Klößchen pfiff mißtönend, was seine
Verwunderung ausdrückte.
    „So ein netter Kerl! Und total
kriminell. Wußte ich nicht.“
    „Er ist nicht total kriminell. Er war
nur jugendlich-leichtsinnig. Kennst ja seine Leidenschaft.“
    „Autos?“
    „Autos!“ bestätigte Tim. „Fahren kann
er, als hätte er schon seit Jahren den Führerschein. Damals hat er einfach
nicht widerstehen können, sondern einen Sportwagen kurzgeschlossen und eine
Spritztour gemacht. Als das Benzin zur Neige ging, ist er genau zum Tatort
zurückgefahren und hat den Wagen dort abgestellt. Aber dabei wurde er
beobachtet. Als sie ihn dann am Kragen hatten, stellte sich heraus, daß er das
schon dreimal gemacht hatte. Dem mußte der Jugendrichter einen Riegel
vorschieben.
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