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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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zu spät.
    Heftig zerrte Johann an den Falten seines Rockes, stockte entsetzt, bis zum Gürtel herauf war der Stoff besudelt mit Flecken und Spritzern! Nur zu besonderen Anlässen trug er diesen Talar, bei Festessen in der Burse, an Tagen wie heute und bei der wöchentlichen Disputation der Fakultät. Tage würde es dauern, bis der Rock getrocknet und wieder gesäubert war.
    »Auch dafür werd ich den Kerl prügeln.« Johann starrte zu dem Haus hinüber. Nichts regte sich hinter den Fenstern, kein Lichtflackern, keine Schatten. Er blickte die Straße entlang. Still und menschenleer, vor den Eingängen der Häuser zerwühlten Hunde ungestört die Abfallhaufen. Kleine gezackte Rinnsale liefen bis zur Mitte der Straße, tröpfelten in die flache Abflussrinne.
    Solch einen Dreck gibt es bei uns zu Hause nicht. Angeekelt besah Johann seine beschmierten Schuhe. Bottrop war ein kleiner Ort, da sorgten die Bürger dafür, dass Schmutz und Gestank nicht Überhand nahmen, die Abfallhaufen vor den Häusern nicht anwuchsen. Doch Köln, diese Hauptstadt, war in den Durchstiegen und Winkelgassen oft von einer Kloake nicht zu unterscheiden. In den Vierteln der Gerber und Tuchfärber verwesten Fett- und Fleischreste auf den Gassen, in diesen Gestank mischte sich noch der scharfe Geruch von Lauge und Alaunbeize.
    Mit beiden Händen versuchte Johann seinen Rock abzuwischen, ließ es bekümmert. Zwei Talare hatte ihm der Vater geschneidert, einen aus grobem Stoff, um ihn täglich zu tragen, und diesen aus feinem Tuch. Seit seiner Ankunft in Köln vor zwei Jahren, seit dem Beginn seines Studiums war Johann sorgsam mit diesem Talar umgegangen, hatte ihn gepflegt. Auch im Äußeren wollte er sich nicht von den reichen Mitstudenten unterscheiden, wollte ihnen gleichen.
    Hufschlag, ein Reiter trieb sein Pferd in die Herzogstraße, schon hallten die Schläge von Eisen auf Stein an den Hauswänden. Ein Stadtsoldat. Eng presste sich Johann in die Mauernische. Sein Herz schlug gegen den Takt des Pferdegangs, wurde schneller. Hier war kein sicheres Versteck.
    Warum verberge ich mich? Nichts kann man mir vorwerfen. Im Gegenteil, ich helfe der Gerechtigkeit!
    Von Haus zu Haus, langsam näherte sich der Gewaltdiener, er blickte in jedes Fenster, jeden Durchstieg.
    Schutzlos fühlte sich Johann dem eigenen Atem, den wuchernden Gedanken ausgeliefert. Rannte er plötzlich davon, würde er gejagt und gestellt werden, gleichgültig welchen Befehl der Reiter gerade ausführte. Entdeckt er mich hier in der Mauernische, verhaftet er mich sofort. Kein Student verbirgt sich grundlos in einem Hauswinkel, und Johann wusste, mit welchem Argwohn die Bürgerschaft das Verhalten der Studenten beobachtete, nur zu gern waren die Büttel bereit, einen dieser jungen Männer aufzugreifen, ihn bei den Rektoren anzuprangern.
    Noch drei Häuser. Johann hörte das Schnauben des Pferdes. Wenn er mich bemerkt, zeige ich nach drüben, dann werde ich den Fremden ausliefern.
    Noch blickte der Reiter zur anderen Straßenseite, gleich musste er den Kopf wenden.
    Die Eingangstür neben dem Haus, in dem der Fremde verschwunden war, öffnete sich. »Was ist los?« Eilfertig trat eine Frau auf die Straße, richtete ihre Kugelhaube, strich die Schürze. »Wen suchst du?« Gierige Fragen, voll Hoffnung auf eine Neuigkeit.
    Mit einer müden Handbewegung tätschelte der Reiter den Hals des Gauls. »Zwei Männer. Der eine ist ein langer mit Barett, wohl ein Studierter, der andere ist kleiner, so ein verdammter Student, blondes Haar.«
    Das bin ich, mich suchen sie, mich! Johann hielt den Atem an.
    Näher trippelte die Frau an das Pferd heran, sah zu dem Diener des Gewaltrichters auf. »Und was haben die ausgefressen? Doch keinen Mord? Nein, davon hätte ich längst gehört, na ja, man weiß ja nie bei diesen Kerlen von der Universität. Oder vielleicht haben sie eine Frau …« Lüsternes Kichern. »Na, du weißt schon.«
    »Ach, was! Ketzer sollen das sein.«
    »Ketzer?«
    »Ich weiß es auch nicht. Der Greve spielt verrückt. Die ganze Stadt sollen wir absuchen, Viertel für Viertel.«
    »Schade.« Die Gier erlosch, zurück blieb das Gesicht einer guten Bürgerin. »Viel Glück, Soldat«, damit huschte die Frau ins Haus und schloss die Tür.
    Kurzes Zungenschnalzen, das Pferd trabte an, sein Reiter blickte nach vorn, nicht zur Mauernische, auch nicht in die Fenster des Nachbarhauses, der Hufschlag entfernte sich gemächlich.
    Johann stieß den Atem aus, spürte den Husten, keuchte in
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