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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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ihn neben seinen Umhang.
    Jetzt war alles wieder gewohnte Arbeit. Christoff entzündete die Pechfackel und stieß die Flamme ins Stroh. Der Südost blies seinen Gestank und fachte das Feuer. Bücher brennen, brennen besser noch als Menschen. Hochrufe, Beifall, das Volk klatschte dem Henker zu. Lange Hornsignale der beiden Reiter unterbrachen die Begeisterung, verlangten Ruhe.
    Nur im Feuer sangen noch die Bücher gemeinsam mit den feuchten Balken.
    »Jeder bringe die ketzerischen Schriften, die in seinem Besitz sind, zu dem Holzstoß!«
    Eifrig rannten die Studenten. »Übergebt sie mir!« Der Scharfrichter wollte sie aufhalten, doch sie wichen ihm aus und warfen die Bücher selbst in die Flammen. Einige tanzten, Feuer treibt das Blut.
    Ungläubig stemmte Heftrich die Hände in die Hüften. Das war sein Amt, niemand durfte die Arbeit des Henkers tun, diese Gotteslästerer! Und kein Inquisitor noch der Greve schritten ein. Sonst, bei Menschen, geht alles nach seiner Ordnung. Papier! Heftrich spuckte einen langen Strahl.
    Auch die Gelehrten und Stadträte brachten Bücher, warfen sie vor dem Korb auf den Boden, selbst Handwerksmeister schoben sich heran, ließen sie aus ihren Mänteln fallen, mit den Händen versuchten die Ehrbaren ihre Gesichter zu verbergen, doch Heftrich kannte sie. »Was? Du liest Bücher?« Diesen Bäckermeister hatte er oft im Goldenen Hirschen gesehen. Keine Antwort. Mit dem Henker spricht kein guter Bürger. Christoff grinste hinter dem Bäcker her. »Bis ich so was lese, sollen mir doch die Augen rausfallen.« Schreiben und lesen konnte er, das Schreiben reichte für die Rechnungen an den Greven, das Lesen für die Anordnungen, die ihm der Gewaltbote brachte.
    Weiter wuchs der Bücherberg. »Verbrennen sollst du sie!« Zornrot stand der Greve vor dem Henker.
    »Aber die Leute laufen doch noch.«
    »Tu deine Pflicht. Kerl!»
    Also keine Ordnung mehr! Heute konnte nicht einmal der Scharfrichter seine Arbeit in Ruhe und Ordnung verrichten. Während um ihn herum Studenten über Späße lachten, Bücher geworfen wurden, das Durcheinander um den Scheiterhaufen zum Volksvergnügen wuchs, verschaffte sich Christoff Heftrich Platz, packte in den Schriftenberg. Niemand achtet mich hier, dachte er. Von den Feinen auf der Tribüne sieht mich jetzt auch niemand mehr, lustlos warf er das Papier ins Feuer. Das ist doch keine Hinrichtung, nur Bücher verbrennen. Das ist nicht mein Amt, jeder Büttel kann das ebenso gut. Jeder Gaukler, Schausteller, selbst ein Pfaffe braucht Ordnung, da die Gläubigen und hier der Pfaff, schön getrennt.
    Wieder bückte sich Heftrich. Erst bemerkte er neben dem Bücherhaufen nur die beiden Stiefel, lehmverschmierte, darüber dunkle Beinkleider, den Saum eines schwarzen Rocks, wie ihn Prediger, Studenten oder Magister trugen. Die Stiefelspitzen schoben einige Bücher zur Seite, jetzt hockte sich der Mann, wählte, nahm drei Schriften in die Hand.
    Ohne auf den Henker zu achten, blätterte er kurz, las das Deckblatt.
    Egal, soll er sie ins Feuer werfen, sollen die Gelehrten ihr Papier selbst verbrennen.
    Der Mann schob die Bücher in seinen Umhang, stand wieder.
    Die einen bringen das Zeug, die andern nehmen es wieder mit? »Nicht bei mir!« Heftrich wollte eingreifen, ließ es dann. »Egal. Soll der Greve aufpassen.« Beide Arme hochbeladen richtete er sich auf, sah noch das Gesicht des Mannes, mager, brennend dunkle Augen, scharf stach die Nase aus dem schwarzen Bart an Wangen und Kinn. Der Fremde wandte sich ab. Eine große Gestalt, hager. Die köpf ich gern, die Hageren mit den langen Hälsen.
    Ein junger Student hielt den Bärtigen am Mantel fest, zeigte in das Feuer, versperrte den Weg, der Dieb wollte ausweichen, vergeblich. Keiner sprach. Die hellen Haare des Studenten lockten sich über dem Kragen. Entschlossen wollte er den Mann zum Scheiterhaufen drängen, da stieß ihn der Fremde zurück, so heftig, dass er stolperte und fiel. Ohne Hast verließ der Bücherdieb die Nähe des Feuers und war in der Menge verschwunden. Der junge Student sprang auf die Füße und rannte ihm nach.
    Christoff Heftrich nahm die Gesichter der beiden in sich auf. Sein Gedächtnis sammelte Gesichter. Nie vergaß er den letzten Blick eines Menschen, den Ausdruck vor dem Tod, da veränderte sich nichts mehr. Doch auch lebendige Gesichter sammelte er, oft nur einseitige Bekanntschaften seiner Augen, geschlossen in Wirtshäusern, im Vorübergehen oder in Momenten ungewöhnlicher Ereignisse, vor
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