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Über Morgen

Titel: Über Morgen
Autoren: Douglas Rushko; Ray Hammond; Scarlett Thomas; Markus Heitz
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nicht nur, weil ich ein Spiegel bin. Als Kind hat mich Michael Collins immer am meisten fasziniert – der Pilot der Kommandokapsel von Apollo 11 –, nicht Neil Armstrong oder Buzz Aldrin, die Jungs, die tatsächlich auf dem Mond gelandet sind. Collins kreiste ganz allein über der dunklen Seite, während die anderen beiden die historische Mondlandung für die Fernsehzuschauer machten. Er hat einfach nur in der Kapsel gesessen, außer Reichweite unserer Kommunikationsmittel, während alle anderen unsere erstewahrhaft einigende planetare Leistung feierten. Er hatte die ganze Verantwortung und war mutterseelenallein.
    Also zugegeben, ich genieße das Erlebnis „Letzter noch übriger Mensch“ und ziehe es über jedes vertretbare Maß hinaus in die Länge. Ich schlendere durch die verlassenen Shopping Malls, probiere Sachen an, die ich mir nie hätte leisten können, schaue mir Filme auf die altmodische Art an, lege Bündel von Geldscheinen auf hohe Stapel und schieße mit Maschinenpistolen auf Autos. Es macht Spaß. Solange es mich nur als einzelnes Exemplar gibt, kann ich es mir leisten, genau so zu leben, wie wir, ginge es nach der Arbeit meines Vaters, eigentlich nicht mehr leben dürften.
    Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie nicht wissen, wovon ich rede (Wäre das nicht zum Brüllen? Dass ich die Leute über seine Existenz aufklären muss?), sage ich Ihnen hier, wie sich alles zugetragen hat:
    Ich habe, wie jeder andere auch, meine eigenen Theorien darüber, wie es zu der großen Wende kam. Welche Technologie, welche Politik, welcher Popstar oder welche Kombinationen dieser Faktoren zu der Großen Abwicklung geführt haben, lässt sich nicht mehr im Einzelnen nachvollziehen. Darüber besteht kaum Konsens, aber ich glaube nach wie vor, dass es der TP war, der Telepathische Podster. Das war natürlich noch kein echtes telepathisches Universalgerät. Die kamen erst zehn Jahre später auf. Der TP war nichts weiter als eine Biofeedback-Schaltung. Die Software registrierte den neuralen Output einer größeren Zahl von Menschen, die „rechts“ oder „links“ dachten, und nutzte diese Daten dann für die Vorhersage, wann jemand anderes den Cursor in diese Richtung bewegen wollte. Es war das erste Smartphone/Gamepad, das zu wissen schien, was wir vorhatten, ohne dass wir ihm irgendetwas mitteilten.
    Das klingt nicht besonders aufregend, führte aber zu einer radikal neuen Entwicklung der gesamten Technologie. Jetzt war es nicht mehr unser Job, uns auszudenken, wie wir irgendein neues Ding herstellen konnten, um uns dann zu überlegen, wofür zum Henker man es gebrauchen konnte, sondern jetzt musste die Technologie herausbekommen, was wir wollten, und es uns dann einfach liefern.

    Das erwies sich als ein Riesenproblem, denn was wir alle wollten, war immer mehr von dem, was wir schon hatten. Die Konsumgüter-Technologie lernte, sich die Menschen so vorzustellen, wie wir selbst sie bereits sahen: als absolute Konsumenten. Technologien von Net Agents bis hin zu Nano-Bots wetteiferten in allen Netzwerken darum, ihren Besitzern möglichst viele Güter so billig wie möglich zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig spiegelten die Technologien im Dienst von Unternehmen und Regierungen die gewinnorientierten oder bürokratischen Ideale ihrer eigenen User wider. Sie entwickelten Handels-Algorithmen, intelligente Währungen und selbstreferenzielle juristische Axiome, die in beunruhigendem Tempo Kapital in ihre Kassen spülten.
    Das alles war gut für die Wirtschaft – zumindest kurzfristig, abzulesen am BSP. Je schneller die Wirtschaft wuchs, desto stärker konnte sie beschleunigen. So lange es immer neue Schwellen für die Beschleunigung gab, waren die Möglichkeiten unbegrenzt.
    Gebremst wurde das System nur durch den Faktor Mensch. Die Zeit, die Menschen brauchten, um Entscheidungen für sich zu treffen, übertraf um ein Vielfaches die Zeit, in der eben diese Wahlentscheidungen von den Annahme-Routinen der Software präzise vorhergesagt und ausgeführt werden konnten. Unsere Impulse waren auf dieser Stufe der Evolution ja noch sehr einfach. Sie zielten alle auf den Erwerb einer größeren Menge von diesem oder jenem Gut ab, je eher, desto besser.
    Sobald sie einmal der unmittelbaren Steuerung durch den Menschen entzogen waren, konnten die verschiedenen Technologien, vom TP bis zur Nano-Sonde, die gesamte menschliche Nachfrage darstellen und befriedigen, lange bevor uns diese Nachfrage bewusst wurde. Jedenfalls
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