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Über Morgen

Titel: Über Morgen
Autoren: Douglas Rushko; Ray Hammond; Scarlett Thomas; Markus Heitz
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verwenden in unseren Forschungsstätten viel Zeit darauf, Menschen zuzuhören und untersuchen, wie die Technologie ihr Leben berührt und beeinflusst. Wir tun das, weil wir glauben, dass nicht nur die Zukunft, sondern auch die Technologie letztlich eine Sache der Menschen ist, die sie einmal nutzen werden.

    Die Geschichten in dieser Sammlung erlauben Ihnen, sich mögliche Varianten der Zukunft auszumalen – genau wie wir es bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien tun. Jede Kurzgeschichte ist eine Art Dialog über die Zukunft, ein Weg, eine Zukunft zu verstehen, die noch nicht gänzlich festgelegt ist, aber Tag für Tag ein Stück näher rückt.

    Brian David Johnson
    Futurist and Director, Future Casting, Interactions and Experience
    Research Intel Corporation

„Last Day of Work“
    Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein

Douglas Rushkoff

    J etzt ist es also soweit. Ich stemple zum allerletzten Mal aus.

    Es ist zwanzig Jahre her, seit sie damit angefangen haben, die Abfindung anzubieten, und fast ein Jahrzehnt, seit die Firma nur noch aus dem restlichen Beobachtungsteam besteht, und seit über einem Jahr gibt es hier nur noch mich. Na ja, Curtis und mich, aber der war sowieso nie ganz da, und deshalb war es, als er das Büro verließ, eher so, als schaute man zu, wie einer sich in einem Netz aus- und in einem anderen einloggt.
    Ich freue mich richtig darauf, ehrlich. Obwohl ich eigentlich gedacht hatte, der Letzte hier zu sein wäre eine beachtlichere Leistung. Oder zumindest eine mehr beachtete. Eine so preiswürdige Leistung wie etwas, was mein Vater hätte tun können. Es ist von Bedeutung für die Menschheit, da bin ich mir sicher, aber ich tue es zu einem Zeitpunkt, da niemand da ist, den es interessieren würde. Ich bin die Schlagzeile jeder Zeitung, die erste Seite jeder Website und die Nachricht in jedermanns Mailbox: Dr. Spiegel macht das Licht aus.
    Ich habe das Unvermeidliche (und, wie man mir sagt, meine eigene Freude, die Befreiung meines Egos, meine Teilnahme an der nächsten Phase der menschlichen Evolution) vor allem deshalb hinausgeschoben, weil es niemanden gibt, der weiß oder den es kümmert, was ich mache. Ich zahle mir jeden Tag mein Gehalt aus – ich genehmige mir sogar den anderthalbfachen Tarif, weil ich schließlich sowohl arbeiten als auch meine eigenen Fortschritte protokollieren muss. Es ist kein Kinderspiel, der Letzte zu sein.
    Natürlich kann ich das Geld, das ich verdiene, nirgends mehr ausgeben. Die letzten Geschäfte haben seit Anfang vorigen Jahres keine Kreditkarten mehr akzeptiert, und auch vorher waren die meisten finanziellen Transaktionen nurnoch pro forma ausgeführt worden. Nachdem die Banken sich über den Tag der Auflösung einig geworden waren, hatte es nicht mehr viel Sinn, irgendwelche Währungen zu horten. Es war, als hätten wir Kredit um seiner selbst willen gebraucht – um uns und unseren Freunden zu beweisen, dass wir tatsächlich etwas Sinnvolles taten. Irgendwie haben sie dann angefangen, über den Kram nachzudenken, den sie sich mit Geld gekauft hatten, und sich zu fragen, ob nicht das meiste davon immer denselben sinnlosen Zwecken gedient hatte.
    Wenn man weiß, dass etwas wahr ist, kann man sich deshalb noch lange nicht leichter damit abfinden oder das eigene Verhalten entsprechend ändern. Das war wohl die wichtigste Botschaft der Arbeit meines Vaters. Nicht dass er eine Art Messias gewesen wäre; er war nur der Bote. Aber in einem Land ohne Egos und ohne Autorität ist das so ziemlich das Höchste, was einer erreichen kann. Was mich angeht: Ich bin auch ein Bote – aber in einer Welt ohne Empfänger. Außer Ihnen vielleicht, wenn Sie diesen Schrieb finden sollten. Tritt dieser Fall ein, haben wir die ganze Sache vermutlich völlig falsch gesehen.
    Doch schon allein die Möglichkeit war und ist für mich Grund genug, an dieser Chronik weiterzuschreiben, in Arbeitsstunden, in denen ich früher die Systeme kontrolliert und dafür gesorgt habe, dass die Nano-, Robo-, Digital- und Genetik-Algorithmen innerhalb der vorgesehen Parameter funktionierten. Stets bereit, den Stecker zu ziehen, bis zu dem Moment, in dem es keinen Stecker mehr zu ziehen gab.
    Tatsächlich ist jeder – zumindest jeder, der etwas zu sagen hatte – rübergegangen. Irgendjemand musste von der anderen Seite aus zusehen. Jemand musste als Letzter gehen. Arbeiten bis zum letzten Tag des letzten Jobs. Die Tür schließen, das Licht ausmachen.
    Es passt, dass ich derjenige bin –
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