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Über Morgen

Titel: Über Morgen
Autoren: Douglas Rushko; Ray Hammond; Scarlett Thomas; Markus Heitz
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funktionierte das so lange, bis die ökonomischen Systeme, auf deren Basis das alles ablief, nach und nach zusammenbrachen.
    Offenbar war es doch keine so brillante Idee gewesen, die Befriedigung der menschlichen Nachfrage allein der Technik zu überlassen, und das ungeprüft. Die Ressourcen wurden knapp, vor allem bei Lieferungen an Einzelpersonen. Und das Kapital sammelte sich überwiegend im Zentrum, sodass viele Unternehmen niemanden mehr hatten, dem sie etwas verkaufen konnten. Wir manövriertenuns in eine Sackgasse und waren nicht einfallsreich und schnell genug, um uns aus der Klemme zu befreien. Unsere Programme lieferten uns genau das, wozu wir sie aufforderten, und wir wussten nicht, wozu wir sie sonst auffordern sollten. Umweltprognosen besagten, dass es, selbst wenn es uns irgendwie noch gelänge, das Ruder herumzuwerfen, bereits zu spät wäre. Ressourcenverknappung und ungleiche Vermögensverteilung hatten den Punkt, an dem es noch ein Zurück gegeben hätte, längst überschritten.
    Man versuchte es mit diversen Ideen, mit ausgeklügelten Gesamtkonzepten. Eine chinesische Firma entwickelte ein technisches Verfahren, mit dem man alle Lebewesen auf ein Zehntel ihrer Größe hätte reduzieren können. Diesem Szenario lag die Überlegung zugrunde, dass die Menschheit dann nur noch ein Zehntel des Raums und somit nur noch ein Zehntel der Ressourcen beanspruchen würde. Aber selbst so winzige Menschen hätten aller Voraussicht nach die zu erwartende Strahlung nicht überlebt, und deshalb ließ man die Idee fallen.
    Gefangen in dem Szenario, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gab, schlug mein Vater als Ultima Ratio etwas ganz anderes vor: Interstellare Migration. Nein, wir verfügten nicht über die Technologie, Menschen von der Erde an einen sicheren Zufluchtsort zu fliegen, wohl aber über die Möglichkeit, unsere DNA auf einem anderen Planeten auszusäen. Und so begannen die Wissenschaftler mit der Arbeit an dem gewaltigen Projekt, Roboter, Nanotechnologie und genetisches Material durch die Galaxien zu schicken, auf der Suche nach einem Planeten, der für einen Neubeginn des Lebens in Frage käme.
    Um jedoch nicht einfach den Evolutionsprozess zu wiederholen, der uns in unsere missliche Lage gebracht hatte, verfiel unsere Regierung auf die Idee, eine Botschaft in den DNA-Strang einzubauen: unseren kleinen Glückskeks für die nächste Runde der Menschheit. In dieser Botschaft konnten wir, so gut es ging, erklären, was bei uns schiefgegangen war. Wenn die nächste Zivilisation sich dann unserem Entwicklungsstadium näherte, würden diese Menschen ver-mutlich die Botschaft in ihrer DNA finden, sie lesen und unserem Schicksal entgehen.
    Während die UNO noch darüber stritt, was genau in dieser Botschaft stehen sollte, wurde mein Vater beauftragt, ein unbenutztes oder überhaupt überflüssiges Codon zu suchen, in das man sie einbetten konnte. Er dachte lange darübernach, welche tierischen und menschlichen Eigenschaften für unsere Entwicklung nötig oder unnötig gewesen waren, und durchsuchte die einzelnen Sequenzen des Genoms wie ein Ingenieur, der im New Yorker U-Bahnnetz nach unbenutzten Tunnelröhren fahndet.
    Dann dachte er sich, warum nicht gleich an die Wurzel des Übels gehen? Den menschlichen Trieb nämlich, seinen eigenen Nutzen und den seines Stammes zu mehren – unentbehrlich in den Frühstadien der Entwicklung, aber brandgefährlich, wenn man ihn die menschlichen Angelegenheiten in den Spätstadien der Evolution regeln lässt, in denen sich Triebe so leicht durch Technologie verstärken lassen. Er benutzte sein virtuelles Quark-Mikroskop, um sich sein Zielgebiet im Genom genau anzusehen, und erforschte das fraktalartige Modell auf der subatomaren Ebene, und dabei bemerkte er etwas Seltsames: Am Rand eines der Neutrinos in einem Atom des Cytosin-Nukleotids fand sich ein kleines, diskretes Bündel aus Mesonen und einem einzelnen Baryon. Wie war das dorthin gekommen?
    Er erriet es genauso schnell wie Sie. Es war eine Botschaft. In ähnlichem Geist verfasst wie das, was die Menschheit gerade ihrer eigenen evolutionären Nachkommenschaft mitzuteilen versuchte. Nicht in Worte übersetzbar, aber dennoch die klare Darstellung der grundlegenden und scheinbar furchteinflößenden Wahrheit: Die Technologie ist kein Spiegel, sie ist ein Partner.
    Die Position der Botschaft lieferte den Hinweis auf ihre Implementierung, die sich als viel einfacher erwies als der Versuch, sie in irgendein Zukunft
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