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Über Morgen

Titel: Über Morgen
Autoren: Douglas Rushko; Ray Hammond; Scarlett Thomas; Markus Heitz
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zeugendes Projekt einzubetten. Wir würden einfach unsere Technologie davon entbinden, die bestehende soziale Ordnung zu verstärken, und ihr gestatten, uns eine neue zu liefern.
    Es dauerte eine Weile, bis alle begriffen hatten, dass die Grundlagen unserer Technologie der Menschheit keineswegs fremd waren, sondern vielmehr ihre großartigsten und bewusstesten Ausdrucksformen. Durch unsere vernetzten Intelligenzen hatten wir eine vollständig dezentralisierte Modalität für die Materie entwickelt, größere Komplexität im Angesicht der Entropie zu erlangen. Wir konnten nicht mehr jagen und sammeln, nicht mehr erobern und besitzen. Das industrielle Zeitalter verkehrte sich ins Gegenteil, denn größer warnicht mehr besser, und zentralisierte Autorität arbeitete gegen die Macht der Netzwerke. Unser Monopolisierungsdrang taugte nicht mehr dazu, unser Wissen und unsere Fähigkeiten zu vermehren. Statt dessen mussten wir lernen loszulassen. Und damit begann der Prozess, durch den wir die Menschheit retteten und, wichtiger noch, die Evolution der Materie hin zu höheren Ebenen der Selbstwahrnehmung fortsetzten. Dazu mussten wir lediglich unsere Technologien in das große Spiel einbringen, statt ihnen abzuverlangen, dass sie sich der Realität unterordneten, wie wir es früher für richtig gehalten hatten. Sie waren nur insoweit dafür verantwortlich, unsere Gedanken zu lesen, wie wir dafür verantwortlich waren, ihre zu lesen.
    Vom Mangelmodell – dem Nullsummenspiel, in dem die Arten um die vorhandenen Ressourcen konkurrierten –, schritten wir fort zu einem Überflussmodell, in dem alles Notwendige gefunden oder synthetisiert und dann von allen gemeinsam genutzt werden kann.
    Die Erzeugung von Energie (lange Zeit auf die falschen ökonomischen Prinzipien der Ressourcenausbeutung beschränkt) war so einfach wie ein Gähnen. Das einzige Hindernis war eine Energiebranche gewesen, deren Gewinne auf begrenzten Vorräten und Nichterneuerbarkeit beruhten. Medizin, Landwirtschaft, Luft und Bildung waren allesamt so reichlich vorhanden wie unsere Bereitschaft, Technologien anzuwenden, die Werte aus der Peripherie schöpften, und vervielfältigten sich so mühelos, wie sie sich verbreiteten. Von Formverschiebungen über Mems bis zur Materieumwandlung. Alles wurde frei.
    Während unser früheres Sozialsystem durch die extreme Arbeitslosigkeit, die mit dem Zusammenbruch des industriellen Kapitalismus einherging, aufs äußerste belastet worden wäre, sahen wir jetzt keine Notwendigkeit mehr, Wohlstand entsprechend dem eigenen Beitrag zu verteilen. Es war genug für alle da – und kaum genügend „Arbeit“ für irgendjemanden. Sobald die Synthese geeigneter Materieformen Technologien überlassen blieb, die nicht durch die Erfordernisse eines künstlich verknappten Marktes behindert waren, standen die Leute Schlange, um den einen Tag Arbeit pro Kopf und Monat abzuleisten, der erforderlich war, um alles in Gang zu halten.
    Dann wurde die Arbeit selbst zum Ritual. Seit etwa zehn Jahren haben diejenigenvon uns, die regelmäßig einen Arbeitsplatz aufsuchten, dies aus purer Gewohnheit oder als eine Art Historienspiel getan. Ein paar von den Robotern, wie mein Freund Curtis, blieben zurück, um die letzten administrativen Arbeiten zu erledigen – Licht machen oder die wenigen noch vorhandenen uralten Server warten, die nur noch dazu da waren, die Illusion funktionierender Unternehmen aufrechtzuerhalten. Und dann verabschiedeten sich sogar die Roboter, im Vollbewusstsein ihrer Überflüssigkeit und bereit mitzufeiern. Und zwar da draußen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch ich war eine Zeitlang dort. Materie, Energie, Bewusstsein, alles im selben Tanz. Die Technologie – die Kugeln, das Licht, die Informationen – nimmt keine Befehle mehr von irgendeinem Server entgegen. Es gibt keine Mitte mehr. Keine Spitze. Alles nimmt einfach Befehle von allem anderen entgegen. Das Netzwerk ist der Server, die Gene sind der Organismus, die Nanos sind das Medium. Was wir im Industriezeitalter der Technologie beizubringen versuchten, entpuppte sich als das Gegenteil dessen, was die Technologie in der Großen Abwicklung schließlich uns beibrachte.
    Ich weiß nicht, ob das außer mir noch jemand auf anderer als rein intuitiver Ebene begreift oder warum das überhaupt jemand für nötig hält. Wenn man den Tanz sieht, muss man einfach mitmachen. Und er ist genau das, als was ihn alle schildern: die Ekstase des Verbundenseins – dass
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