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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
Autoren: Jandy Nelson
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verwandelt hatte.
    Das war das eine und dazu kam noch, dass er mich so beachtenswert fand wie eine Ofenkartoffel.
    »Alles okay mit dir, Len?«, fragt er aus seiner liegenden Position heraus und holt mich wieder in die Gegenwart zurück.
    Aus irgendeinem Grund sage ich die Wahrheit. Ich schüttele den Kopf, hin und her, von Unglauben zu Verzweiflung … und wieder zurück.
    Er setzt sich auf. »Ich weiß«, sagt er und ich sehe an diesem verlassenen Ausdruck in seinem Gesicht, dass es wahr ist. Ich will ihm danken, weil er mich nicht zwingt, ein Wort zu sagen, aber mich trotzdem versteht, doch ich schweige weiter, während die Sonne wie mit einer Kanne über unsere wirren Köpfe Hitze und Licht ausgießt.
    Er klopft auf das Gras, ich soll mich zu ihm setzen. Irgendwie will ich, bin jedoch zögerlich. Wir waren eigentlich nie ohne Bailey zusammen.
    Ich mache eine Kopfbewegung Richtung Haus. »Ich muss nach oben.«
    Das ist wahr. Ich möchte zurück ins Allerheiligste, mit vollem Namen: das innerste Kürbisallerheiligste, vor Kurzem
von mir so benannt, nachdem Bailey mich davon überzeugt hatte, dass die Wände unseres Zimmers einfach orange sein mussten, ein brüllend unbescheidenes Orange zudem, das seither das Tragen von Sonnenbrillen in unserem Zimmer erforderlich gemacht hatte. Ehe ich diesen Morgen zur Schule gegangen bin, habe ich die Tür bewusst geschlossen und mir gewünscht, eine Barrikade gegen Grama und ihre Pappkartons errichten zu können. Ich will das Allerheiligste so behalten, wie es ist, und das heißt, es soll genau so bleiben, wie es war. Anscheinend glaubt Grama, das bedeutet , ich hab nicht mehr alle Äste in der Krone , gramamesisch für durchgeknallt .
    »Kleine Wicke.« Sie kommt in einem grelllila Kleid mit Gänseblümchenmuster auf die Veranda. In der Hand hält sie einen Pinsel. Zum ersten Mal seit Baileys Tod sehe ich sie wieder mit einem Pinsel. »Wie war dein erster Tag?«
    Ich geh zu ihr rüber, atme ihren vertrauten Duft ein, Patchouli, Farbe, Gartenerde.
    »War gut«, sage ich.
    Sie mustert mein Gesicht genau, so wie sie es tut, wenn sie sich anschickt, es zu zeichnen. Zwischen uns tickt das Schweigen, so wie immer in letzter Zeit. Ich spüre ihre Frustration, spüre, wie sie wünscht, sie könnte mich schütteln wie ein Buch, wie sie hofft, die Wörter würden alle einfach aus mir herausfallen.
    »Im Orchester ist ein neuer Junge.«
    »Ach, tatsächlich? Was spielt er?«
    »Anscheinend alles.« Ehe ich in der Mittagspause in die
Wälder geflüchtet bin, hab ich ihn mit Rachel über den Hof gehen sehen, eine Gitarre schwenkend.
    »Lennie, ich hab mir gedacht … es wäre vielleicht jetzt gut für dich, ein echter Trost …« Uh-oh. Ich weiß, worauf das hinausläuft. »Ich meine, als du bei Marguerite Unterricht hattest, konnte ich dir dieses Instrument nicht aus der Hand reißen -«
    »Die Dinge ändern sich«, unterbreche ich sie. Dieses Gespräch kann ich jetzt nicht führen. Nicht schon wieder. Ich versuche, an ihr vorbei nach drinnen zu gehen. Ich will einfach nur in Baileys Wandschrank sitzen, an ihre Kleider gedrückt, in dem Duft von Lagerfeuern am Fluss, von Kokossonnenöl, Rosenparfüm – und ihr.
    »Hör mal«, sagt sie leise und richtet mit ihrer freien Hand meinen Kragen. »Ich hab Toby zum Essen eingeladen. Er hat offensichtlich nicht mehr alle Äste in der Krone. Geh und leiste ihm Gesellschaft, hilf ihm beim Jäten oder sonst was.«
    Wahrscheinlich hat sie zu ihm etwas ganz Ähnliches über mich gesagt, um ihn dazu zu bringen, endlich rüberzukommen, geht mir auf. Würg.
    Und dann, ohne weitere Umstände, tupft sie den Pinsel auf meine Nase.
    »Grama!« Aber das rufe ich schon ihrem Rücken zu, denn sie ist auf dem Weg zurück ins Haus. Mit der Hand versuche ich, die grüne Farbe abzuwischen. Bailey und ich haben einen großen Teil unseres Lebens so verbracht, ständig wurden wir von Gramas kühnem grünen Pinsel attackiert. Immer nur grün übrigens. Gramas Gemälde bedecken jede Wand im Haus vom Boden bis zur Decke, sie sind hinter
Sofas und Stühlen gestapelt, unter Tischen, in Schränken und jedes einzelne zeugt von ihrer unvergänglichen Hingabe zur Farbe Grün. Sie hat jede Nuance von Limonen- bis Waldgrün und benutzt sie in erster Linie, um ein einziges Motiv zu malen: gertenschlanke Frauen, die halb nach Meerjungfrau, halb nach Marsianerinnen aussehen. »Das sind meine Damen«, hat sie Bailey und mir immer erzählt. »Sie sind halb hier, halb da.«
    Ihrer
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