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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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einem etwas pathetischen, von Reinhold Schneider inspirierten Stil, in dem ich mein Land dem Untergang preisgegeben sah, weil es die zehn Gerechten ausstößt, deretwegen Gott sogar Sodom und Gomorrha verschont hätte:

    Gerleve 1943
    Das Volk, das seine Beter feig verriet, / die Erstgeborenen aus seinen Söhnen, / den eignen heiligen Namen, würd es wähnen, / den Namen selbst zu retten? Doch es flieht // aus seiner Mitte das geweihte Lied, / das seinen Namen trug und unter Tränen / den Segen Gott abrang. Nur dumpfes Stöhnen / dringt aus dem Abgrund noch und schaudernd sieht // ein Engel, wie sein Volk die zehn Gerechten / ausstößt, um derentwillen Gott vergeben / und Sodoma selbst freigesprochen hätte. // Nun ist es rettungslos den finstern Mächten / und namenlos und nackt dahingegeben. / Nur du bleibst noch, mein Gott, du komm und rette.

    Ein pathetischer Augenblick war für mich das Osterfest 1943. Meine Mutter war sieben Jahre zuvor gestorben. Ich verbrachte das Fest, wie meistens, in Gerleve, diesmal einquartiert bei einem Bauern. Das Kloster war inzwischen in ein Lazarett verwandelt. Die Bauern hatten mit der Drohung von Lieferstreik die Öffnung der Abteikirche und regelmäßige Gottesdienste darin erzwungen. So fand an jenem Tag das Osterhochamt statt. Die Kinder von der Gerlever Volksschule sangen, ja schmetterten die gregorianischen Gesänge:
Kyrie
,
Gloria
,
Credo
,
Sanctus
und
Agnus Dei
in der besonderen österlichen Melodie.
    Ihr Lehrer hatte es mit ihnen geprobt, und es erscheint mir immer als lächerlich, wenn die Liturgiereformer später verbreiteten,es hätte dieser Reform und der Abschaffung des Lateins bedurft, um eine aktive Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie zu erreichen. Pathetisch war der Augenblick für mich, weil ich ganz allein den vertriebenen Mönchschor zu vertreten hatte durch den Sologesang des sogenannten »Proprium«, eines der reichen, melismatisch komponierten gregorianischen Ostergesänge, Gesänge, die zu den schönsten des Jahres gehören und die von Rechts wegen Sache einer kleinen Mönchsschola waren.
    Die kleine Terz, mit der das »Resurrexi« beginnt, ist so ganz anders als die Pauken und Trompeten, die in späteren Jahrhunderten für diesen Text mobilisiert wurden. Der verhaltene Jubel der kleinen Terz drückt die Stille aus, in der sich die Morgenröte eines neuen Äons ereignet. Adressat des Psalmworts »Ich bin auferstanden und immer bei Dir« sind nicht wir. Es ist eine Zwiesprache des Auferstandenen mit dem Vater.
    Zwei Jahre später kamen die Mönche zurück. Dass ich in ihre Gemeinschaft eintreten wollte, ist nach all dem verständlich. Und auch, dass der ehrwürdige alte Abt, so wie es die Benediktinerregel vorschreibt, meinen Enthusiasmus bremste und mich erst einmal an die Universität zurückschickte. Da ich ohnehin über beide Ohren verliebt war, blieb (womit ein weiser Abt immer rechnet) dieses Anklopfen an der Klosterpforte Episode. Ein älterer, aus dem Krieg heimgekehrter Freund und Mitstudent, der mit mir angeklopft hatte, trat dann bald darauf wirklich ein, wurde Mönch, ein guter Mönch, später Novizenmeister, und ist schon lange am Ziel dieses Unternehmens angekommen.
    Mein Kontakt zur Abtei wurde spärlich. Erst viele, viele Jahre später entdeckte ich in der Provence, am Fuß des Mont Ventoux, die neue Abtei Ste Madeleine in Le Barroux, in der ich das Mönchtum meiner Jugendzeit, die herrliche römischeLiturgie, die strenge monastische Observanz, den frühen Tagesbeginn, das strikte Schweigen wiederfand und jenen Gehorsam, der das Lebenselement des Benediktinermönchs ist, ihn zum Ruhen in sich bringt und die Mönchsgemeinde zu einer brüderlichen Gemeinschaft von Einsiedlern macht.
    Entstanden ist diese Abtei durch einen Mönch, der zur Zeit der Verwirrung und Aufweichung der klösterlichen Disziplin nach dem 2. Vatikanischen Konzil mit Erlaubnis seines Abts sein Kloster verließ und in der Provence bei einem leerstehenden steinernen Kirchlein als Einsiedler zu leben begann, die alte Messe las und die monastischen Tagzeiten rezitierte. Bald sammelten sich junge Leute um ihn, und sie begannen zusammen eine neue Mönchsgemeinde zu bilden, bauten dann in Le Barroux ein großes Kloster. Zwei Kilometer entfernt entstand ein ebensolches Frauenkloster.
    Als dann das päpstliche Verbot durch päpstliche Gunstbeweise abgelöst wurde, stand dem inneren Frieden und der äußeren Entfaltung und Ausstrahlung nichts mehr im Weg.
    Ich muss, wenn ich
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