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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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möglichen Experimente anstellte, die dazu dienen sollten, mir während des Traums Klarheit zu geben. Aber alle Kriterien, die es erlauben sollten, Realität von Illusion zu unterscheiden, schienen erfüllt zu sein. Bis ich dann schließlich wieder aufwachte und alles nur ein Traum war. Es gibt in der Tat keinen Test, der uns eine absolute Gewissheit verschaffen könnte, dass wir nicht träumen. – Nachdem sich alle Tests als unzureichend erwiesen hatten, kehrte der Traum nicht wieder.

KAPITEL 1
JUGEND IM DRITTEN REICH
    Leben in zwei Welten und Hinwendung zur Philosophie
    Herr Professor Spaemann, erinnern Sie sich noch, wann Ihr Interesse für Philosophie geweckt wurde?
    Man kann, glaube ich, nicht genau sagen, wann man zur Philosophie gekommen ist. Philosophie ist ja nur die intensivere und systematischere Fortsetzung normalen Denkens. Also müsste man eigentlich fragen: Wann haben Sie angefangen zu denken? Und diese Frage kann man natürlich erst recht nicht beantworten.
    Aber was die Philosophie im engeren Sinne betrifft, insofern es sich um eine bestimmte Disziplin handelt, um eine Disziplin, die eine lange Geschichte hat, da kann ich die Frage schon beantworten. Es war ein Lehrer am Kölner Dreikönigsgymnasium, Dr. Anton Klein, der mein Interesse für Philosophie weckte. Er unterrichtete die drei Bildungsfächer Latein, Griechisch und Deutsch. Und unlängst habe ich in einem alten Tagebuch von mir aus den Jahren 1941/42 zweimal den Eintrag gefunden: »Heute hat er wieder philosophiert«, und das hieß, er hat angefangen, über den Stoff, den er uns gerade vortrug, eigene Überlegungen anzustellen. Es waren oft nur wenige, knappe Sätze, die bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen sind.
    Ein Beispiel, das ich zufällig in diesem Tagebuch gefunden habe, betraf Polybios. Polybios war zwar kein Philosoph, sondern Historiker, aber er entwickelte politisch-philosophischeGedanken über den Kreislauf der Verfassungen, Gedanken, die Platon nahestehen. Mein Lehrer knüpfte an die Lektüre eine Bemerkung über das Ziel des Staates: Das bestehe nicht in der Macht, sondern, wie ich als Junge damals notierte, in der »Veredelung des Menschen«.
    Übrigens gab er uns 15-jährigen Schülern auch eine Einführung in die Ideenlehre Platons. Die Welt, die wir sehen, sei nicht das Ganze, sondern ihr lägen Ideen zugrunde. Eingeprägt hat sich mir noch seine kommentarlose Bemerkung zur Theorie vom Aufgang und Niedergang der Staaten: »Christliche Staaten brauchen nicht zu sterben. Sie haben die Kraft, sich von innen heraus zu erneuern.« Mich hat das fasziniert; meine Mitschüler, glaube ich, eher gelangweilt.
    Erhielten Sie von Ihrem Elternhaus philosophische Anregungen?
    Eigentlich nein. Meine Eltern waren gebildet, aber nicht philosophisch. Als ich neun Jahre alt war, starb meine Mutter. Ihr Einfluss auf mich blieb prägend. Aber es war dann vor allem mein Vater, bei dem ich aufwuchs und der maßgebend war für das, was mir an Bildung vermittelt wurde. Philosophie spielte dabei keine spezielle Rolle. Bei uns zu Hause war die religiöse Prägung sehr stark.
    Für meine Eltern war nach ihrer Konversion der christliche Glaube zum Hauptlebensinhalt geworden. Meine Mutter war Tänzerin, mein Vater war als Kunsthistoriker und Kulturredakteur der »Sozialistischen Monatshefte« tätig, daneben spielte also auch die Welt der Künste eine große Rolle. Eine Zeit lang studierte er im Bauhaus, unter anderem bei Paul Klee, aber vor allem bei Moholy-Nagy. Mit Philosophie hatte das alles nicht direkt zu tun. Aber ich wuchs in einem Klima auf, in dem das Geistige von zentraler Bedeutung war. Materiell bewegten wir uns auf der Leiter unten.
    Wussten Sie denn als Schüler schon, was Philosophie sein könnte?
    Was ich bei meinem Lehrer »Philosophieren« nannte, war mir jedenfalls klar. Ein Beispiel. Wir lasen die Novelle »Kalkstein« von Adalbert Stifter. In meinem Tagebuch notierte ich dazu: Am Beispiel des armen Pfarrers macht der Lehrer deutlich, worin eigentlich der Wert des Menschen besteht. Und das hat nichts mit dem zu tun, was heute propagiert wird.
    Unser Lehrer, schrieb ich, redet nie über Nationalsozialismus. Tatsächlich immunisierte er unsere Klasse dagegen. Einmal kam ein Schüler von außen in unsere Klasse und meinte: »Ihr seid ja alle vollkommen konterrevolutionär.« Das Wort »konterrevolutionär« für die Gegner der Nationalsozialisten überraschte mich nicht. Es war für mich ein Ehrentitel: Ich war
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