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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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über mein Leben schreibe, zuerst von dem sprechen, was gar nicht mein Leben ist. Ich bin kein Mönch. Aber mein Leben ist eine vorübergehende Episode im Universum.
Wichtig ist, was immer ist.
Die Mönche bezeugen durch ihren Gesang und durch die Form ihres Alltags das, was immer ist. Sie bezeugen es als den, der immer ist. Ohne das, was sie bezeugen, wäre das, was jetzt ist, also auch die Episode dieses Lebens, ebenso wie des Lebens aller anderen, ohne Bedeutung. Es hätte, wenn die Erinnerungen erloschen sind, nicht einmal mehr den Status der Vergangenheit.

    Ernst Bloch, dem ich sonst nichts verdanke, schreibt einmal von dem, »was uns allen in die Kindheit scheint und wo noch keiner war: Heimat«. Ja, in die Kindheit ist mir wohl so etwas geschienen: die heitere, zärtliche, strenge Liebe meiner kranken, jungen Mutter. Was mir blieb, war, was meine Mutter mir mitgegeben hat: Glaube und Hoffnung auf die »wahre Heimat«, von der der Apostel Paulus schreibt, dass sie im Himmel ist. Ich kann mich nicht erinnern, von meiner Mutter später geträumt zu haben.
    Erst vor einem Jahr träumte ich, dass ihr Besuch mir unmittelbar ins Haus stünde. Ich wunderte mich zwar, weil ich doch gedacht hatte, sie sei gestorben, und weil sie, wenn sie lebte, doch eigentlich sehr alt sein müsste. Aber das änderte nichts daran, dass dieser Traum die reine Euphorie war. Ich hatte das Gefühl: Nun werden sich alle Fragen beantworten, alle Probleme lösen, alles, alles würde gut sein. Natürlich konnte ich auch im Traum das Gesicht meiner Mutter nicht wieder hervorrufen. Ich wachte also auf, ehe sie an die Haustür kam.
    Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein anderer Traum ein, den ich als Kind hatte und in dem meine Mutter auch eine entscheidende Rolle spielte, obgleich sie persönlich gar nicht auftrat. Mir träumte, auf einer Dorfstraße lief aus der Ferne eine Hexe mir nach. Ich rannte in panischer Angst weiter, um nach Hause zu kommen, aber die Hexe kam immer näher. Die Situation wurde verzweifelt.
    Aber in diesem Augenblick schoss es mir durch den Kopf: Meine Mutter hatte mir gesagt: Es gibt keine Hexen. An dem, was meine Mutter sagte, zweifelte ich nie. Sie sagte immer nur die Wahrheit und hatte auch kein Verständnis dafür, wenn jemand, und sei es ein Kind, nicht die Wahrheit sagte.
    Aber gegen die Wahrheit der Worte meiner Mutter stand nun die eigene unmittelbare Erfahrung: Hier ist eine Hexe.Sie sieht aus wie eine Hexe und sie droht, mich gefangenzunehmen. Es gab nur eine Lösung dieser Frage: Es muss sich um einen Traum handeln. Die Hexe muss geträumt sein. Das Problem war nun nur noch: Wie schaffe ich es, aufzuwachen, ehe die Hexe mich fängt? In diesem Augenblick warf ich mich, im unbedingten Vertrauen auf die Wahrhaftigkeit meiner Mutter, vor der Hexe auf die Straße und wälzte mich hin und her, um aufzuwachen, was mir dann auch gelang.
    Mir war später diese Geschichte immer ein Bild für den unbedingten Glauben an die göttliche Offenbarung entgegen dem Augenschein, für den vernünftigen Glauben gegen abergläubische Empirie.
    Ein dritter Traum hatte die umgekehrte Struktur. Er wehrte sich gegen die Entlarvung als Traum, und das jahrzehntelang. In ihm ging es um meinen Jugendfreund Martin Bongartz. Wir waren schon als Kinder enge Freunde, waren zusammen Ministranten, wir gingen zusammen zur Schule. Er stotterte. Er war witzig. Ich nicht. Aber ich lachte gern über seine Späße.
    Im letzten Kriegsjahr wurde er noch zum Militär eingezogen und blieb in Ungarn verschollen. Vermutlich zwei Tage vor seinem Tod schrieb er mir noch bei einem Glas Tokayer einen langen Brief, ein wundervolles Dokument unserer Freundschaft, das dann leider selbst im Bombenkrieg verbrannt ist.
    Danach träumte ich jahrzehntelang, dass er wiedergekommen sei und wir ein großes Fest des Wiedersehens feierten. Nach der etwa zehnten Wiederholung dieses Traums fing ich an, mich im Traum zu erinnern, dass ich das alles schon früher einmal oder mehrmals geträumt hatte, und nun kamen mir zunehmend Zweifel, ob es sich nicht auch diesmal wieder nur um einen Traum handelte. Aber alles war doch so real. Und ich sagte zu meinem Freund: »Denk dir, ich habeschon so oft geträumt, du seist wiedergekommen. Und dann war es immer nur ein Traum. Ich hätte nicht gedacht, dass du nun tatsächlich doch noch wiederkommen würdest.« Und dann, am Ende, war es wieder nur ein Traum.
    Später versuchte ich mich dann empirisch zu vergewissern, indem ich alle
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