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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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wir über so etwas wie »Dinge« sprechen. Und Leibniz hat gesehen, dass es ohne eine teleologische, das heißt eine anthropomorphe Sprache sogar unmöglich ist, Bewegung zu definieren. Leibniz war gleichzeitig mit Newtonder Erfinder der Infinitesimalrechnung, die es zum ersten Mal einer mathematisierten Physik möglich machte, Bewegung zu denken. Aber es ist derselbe Leibniz, der als Philosoph den Preis dieser Unterwerfung sah. Es ist nämlich der Preis des Verschwindens der Bewegung als Bewegung. Die Infinitesimalrechnung transformiert Bewegung in eine unendliche Zahl stationärer Zustände. Das Phänomen der Bewegung als solches zu retten erforderte von Leibniz die Einführung eines offen anthropomorphen Begriffs, des Begriffs des
conatus,
der Tendenz. Und es ist noch einmal Leibniz, der ein klares Bewusstsein von der Dualität der Sehweisen besaß, wenn er
regnum potentiae
und vom
regnum sapientiae
sprach.
    Diese Dualität korrespondiert mit den beiden Interessen, von denen ich gesprochen habe, und den »zwei Kulturen«, von denen C. P. Snow sprach. Die beiden Kulturen existieren seit der Ablehnung der Teleologie durch die neue, die mathematisierte Wissenschaft, die, um besser erklären zu können, darauf verzichtete, zu verstehen.
    Auch Pascal hat diesen Bruch bemerkt, wenn er von der Komplementarität des
esprit de géometrie
und des
esprit de finesse
sprach.
    Die beiden Interessen, die dem modernen Dualismus zugrunde liegen, sind anthropologische Konstanten. Das Interesse an Beherrschung ist das Interesse, das wir mit allen anderen Lebewesen teilen.
    Sich nicht nur selbst behaupten in der Welt, sondern das Andere als es selbst zu verstehen, das ist ein ganz andersartiges Interesse. Und dennoch kann es genetisch als eine Funktion des ersteren interpretiert werden. Die Anthropologie zeigt uns den Menschen als Bedürfniswesen, als Mängelwesen. Er ist von Natur nicht mit hinreichenden Mitteln zur Sicherung seines Überlebens ausgestattet. Er besitzt bis auf einige wenige Rudimente nicht die dazu erforderlichen Instinkte. Ermuss also diese Mittel selbst schaffen und die natürliche Welt in eine kulturelle Welt transformieren. Aber diese schöpferische Transformation des Gegebenen ist nicht möglich ohne ein gewisses Verständnis des Gegebenen, unabhängig von seiner Bedeutsamkeit innerhalb eines kulturellen Kontextes. Verstehen heißt: nachvollziehen können. Und nachvollziehen kann ich nur das mir Ähnliche.
    Für die Katze ist die Maus nichts als Beute. Für das Tier ist alles, was ihm begegnet, Umwelt und als solches Träger unveränderlicher Bedeutungen. Diese Bedeutungen sind Funktionen des Selbsterhaltungsinstinkts. Jedes Lebewesen hält sich im Zentrum seiner Welt. Es ist »extrovertiert«. Aber seine Extroversion bedeutet, dass es nie über sich selbst herausgehen, sich nicht selbst überschreiten kann. Für das Tier gilt, was David Hume vom Menschen sagt: Es tut niemals einen Schritt über sich selbst hinaus. Wenn das Tier kein Selbstbewusstsein hat, dann deshalb, weil es sich selbst nie von außen, nie mit den Augen des anderen sieht. Die Katze sieht sich nicht mit den Augen der Maus.
    Tiere sind egozentrisch, was nicht heißt: egoistisch. Egozentrismus bedeutet, dass sie niemals etwas
als es selbst
in Betracht ziehen, weder sich noch die anderen. Deshalb ist ihre Beziehung zur Umwelt nicht geschichtlich. Sie bleibt über Jahrtausende hinweg unveränderlich. Ebenso ist ihre Herrschaft über die Umwelt immer die gleiche. Sie besteht nicht in einer fortschreitenden Unterwerfung der sie umgebenden Welt. Sie leben auf Kosten anderer Lebewesen, während die anderen Lebewesen wiederum auf ihre Kosten leben. Sie leben nach dem Satz des Anaximander: »Woraus die Dinge entstehen, da hinein vergehen sie auch nach der Ordnung der Zeit. Denn sie zahlen einander Buße für das Unrecht.« Tiere versuchen nicht, anderen Lebewesen »gerecht zu werden«. Sie erfüllen die Gerechtigkeit durch ihren Tod.
    Der Mensch als nicht definitiv angepasstes Wesen ist sich immer schon dessen bewusst, dass andere Wesen von Tendenzen bestimmt sind, die sich nicht durch die Weise definieren, wie sie uns erscheinen. Sogar dann, wenn es nicht um die Anerkennung des Anderen, sondern um die Herrschaft über es geht, setzt die Kenntnis dessen, was man beherrschen will, voraus, dass sie sich nicht erschöpft in der Kenntnis der notwendigen Mittel der Herrschaft. Es leistet Widerstand. Wenn Thomas Hobbes schreibt, eine Sache kennen heiße
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