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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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»to know what we can do with it when we have it«, dann gilt für diese Formel dasselbe wie für den bereits zitierten Satz von David Hume:
Stricto sensu
gilt er nur für die Tiere. Was die Menschen betrifft, müssten wir den Satz umkehren: Wir können nichts mit einer Sache machen, ohne sie bis zu einem gewissen Grad zu kennen. Der Dompteur kann wilde Tiere nur beherrschen, wenn er weiß, worauf die Tiere von aus sich heraus aus sind. Er muss sie verstehen.
    Max Scheler und in seinem Gefolge später Horkheimer und Adorno haben den Unterschied herausgearbeitet zwischen instrumentellem Wissen, also Wissen im Dienst der Beherrschung der Natur, und einer substantiellen Vernunft, der es um Wahrheit geht, das heißt um das, »was in Wahrheit ist«, um mit Hegel zu sprechen. Ich habe selbst von dieser Unterscheidung Gebrauch gemacht, ich möchte aber betonen, dass das Interesse an dem, was in Wahrheit ist, das Interesse an der »Sache selbst«, sogar dann als Konsequenz des Herrschaftsinteresses verstanden werden kann, wenn es sich am Ende von diesem emanzipiert und zu genuinem Erkenntnisinteresse wird. Es geht ihm schließlich nicht mehr um dasselbe. Das Interesse am Verstehen, das in die Anerkennung mündet, ist dem permanenten Interesse an Herrschaft entgegengesetzt.
    Max Scheler hat in seinem wichtigen Werk »Erkenntnis und Arbeit« gezeigt, dass die pragmatische Interpretation dermenschlichen Erkenntnis zwar nicht dem philosophischen Interesse entspricht, wohl aber dem Erkenntnisinteresse der Naturwissenschaften.
    Die moderne Naturwissenschaft ist nicht Kontemplation, Betrachtung des Seins, sondern arbeitet mit funktionalen Beziehungen, mit Verknüpfungen auf der Basis der Naturgesetze, aufgrund deren wir prinzipiell in den Lauf der Dinge eingreifen können, sogar dann, wenn eine solche Intervention nicht unmittelbar der subjektiven Intention des Forschers entspricht. Das, was man Grundlagenforschung nennt, muss nicht einmal den langfristigen Nutzen ihrer Resultate antizipieren können. Und dennoch ist gerade diese Forschung von größtem praktischen Interesse. Sie entspricht der Tendenz zur Arbeitsteilung, die seit Langem den Menschen dazu bewegt, Werkzeuge herzustellen unabhängig von einem unmittelbaren Bedürfnis, sozusagen auf Vorrat und im Blick auf ihre Tauschbarkeit. Sie gewinnen so eine gewisse Autonomie mit Bezug auf den Prozess ihrer Nutzbarmachung. Sie werden den »natürlichen« Dingen analog.
    Der Wille zu verstehen entspringt also dem Interesse eines unangepassten Lebewesens, die Welt zu seiner Disposition zu stellen. So wird das anfänglich sekundäre Interesse autonom. Es eröffnet dem Menschen die Möglichkeit einer authentischen Bewegung zum Anderen hin, einem authentischen theoretischen Interesse, das nicht auf Herrschaft, sondern auf Anerkennung gerichtet ist.
    Anerkennung ist Selbsttranszendenz. Ihr Motiv ist dem der Selbstbehauptung entgegengesetzt. Wir können es »Liebe« nennen, wenn wir darunter die Bewegung verstehen, mit dem das Andere für mich wirklich wird.
Fieri aliud inquantum aliud
,
das Andere als das Andere werden
, so lautete eine tiefsinnige Definition von Erkenntnis bei Johannes a Sancto Thoma, einem spanischen Thomisten des 17. Jahrhunderts. Aber ausdieser Definition ergibt sich auch die Differenz zwischen jeder Art von Begierde und dem, was die Alten
amor benevolentiae
nannten, Wohlwollen, wohlwollende Liebe, die Leibniz definierte als
delectatio in felicitate alterius
– »Freude am Glück des Anderen«.
    Wenn man auch denken kann, dass dieses zweite Interesse seinen Ursprung in dem ersten hat, so ist es doch diesem, wenn es einmal konstituiert ist, überlegen. Dieses Interesse versteht sich nämlich selbst, und es versteht ebenso das erste, das Interesse an Selbstbehauptung.
    Umgekehrt ist jeder Versuch, das Interesse am Verstehen als Funktion von Selbstbehauptung zu interpretieren, zum Scheitern verurteilt. Es handelt sich um ein systematisches Missverständnis, um eine Verkennung der Emanzipation des Interesses der Vernunft von seinem biologischen Ursprung.
    Aristoteles folgerte aus dieser Emanzipation die vollständige Negation eines solchen Ursprungs. Die Vernunft kommt, so schreibt er in
De generatione animalium
,
thyrathen
, von außen, in den Menschen. Sie kann nicht als ein Teil der Seele verstanden werden.
    Thomas von Aquin hat dieses Verständnis der Vernunft als getrennte Substanz bestritten, aber nicht um sie auf ihre biologische Funktion zu reduzieren. Im
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