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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt
Autoren: Umberto Eco
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durch Verstopfung und übermäßige Aktivität. An die Stelle des Efeus, das die verfallenden Baudenkmäler früherer Zeiten zerfraß, treten heute die Luftverschmutzung und die Berge von Abfall, die unsere neuen Großbauwerke verunstalten und ersticken; die Städte füllen sich mit Immigranten, aber die alten Einwohner ziehen aus und kommen nur noch zur Arbeit herein, um nach Feierabend so schnell wie möglich in ihre Vorstädte zu enteilen (die immer stärker befestigt werden nach dem Massaker von Bel Air). Manhattan wird, wenn es so weitergeht, bald nur noch von Schwarzen bewohnt sein und Turin von Süditalienern, während ringsum auf den Hügeln und in den Ebenen neue Adelsburgen entstehen, verbunden mit neuen Nachbarschaftsbräuchen und gegenseitigem Mißtrauen und großen Gelegenheiten zu feierlich-zeremonieller Begegnung.
    5. Der ökologische Verfall
    Auf der anderen Seite leiden die Großstädte, auch wenn sie heute nicht mehr von kriegerischen Barbaren geplündert oder von Feuersbrünsten verheert werden, unter Wasserknappheit, krisen-anfälliger Stromversorgung und Verkehrsverstopfungen. Vacca verweist auf die Existenz subversiver Underground-Gruppen, die im Bestreben, die technologische Massengesellschaft an der Basis zu treffen, zur Provozierung von Blackouts aufrufen, etwa indem sie empfehlen, möglichst viele elektrische Haushaltsgeräte gleichzeitig zu benutzen und die Wohnung durch Offenlassen der Kühlschranktür frisch zu halten. Gewiß hat Vacca vollkommen recht, wenn er als Wissenschaftler bemerkt, daß bei offenstehen-der Kühlschranktür die Temperatur nicht sinkt, sondern steigt; aber die heidnischen Philosophen hatten bedeutend ernstere Einwände gegen die sexuellen oder ökonomischen Theorien der ersten Christen vorzubringen, und dennoch bestand das Problem nicht darin, die Wirksamkeit ihrer Theorien zu prüfen, sondern zu klären, wie man den Absentismus und das Verweigern der Mitarbeit, wenn sie ein gewisses Maß überschritten, wirksam bekämpfte. Vor kurzem wurden bei uns Professoren gemaßregelt, weil ihre Weigerung, bei Fakultätsversammlungen die Absenzen zu registrieren, einer Absage an den Kult der alten Götter gleich-kam. Was die Machthaber fürchten, wenn sie den Willen zur Sabotage der traditionellen Ordnung und zur Einführung neuer Gebräuche sehen, ist die Aushöhlung der Rituale und der Mangel an förmlicher Reverenz vor den Institutionen.
    Kennzeichnend für das frühe Mittelalter war auch ein rascher Verfall der Technologie und eine zunehmende Verarmung des Landes. Eisen war knapp, und ein Bauer, der seine einzige Sichel in einen Brunnen fallen ließ, mußte auf den wundertätigen Eingriff eines Heiligen warten, der sie ihm wieder heraufholte (wie es von Legenden bezeugt wurde), andernfalls hatte sein Erdenleben ein Ende. Die Bevölkerung nahm rapide ab, erst nach der Jahrtausendwende begann sie wieder zu wachsen, und zwar genau dank der Einführung neuer Anbaumethoden, vor allem des Anbaus von Bohnen und Linsen mit hohem Nährgehalt, ohne die Europa an konstitutioneller Schwäche gestorben wäre (das Verhältnis von Bohnen und kultureller Erneuerung ist entscheidend). Die heutige Parallele kommt aus entgegengesetzter Richtung zum gleichen Ergebnis: Eine immense Entwicklung der Technologie provoziert Verstopfungen und Dysfunktionen, die Expansion einer hochtechnisierten Ernährungsindustrie verkehrt sich zur Produktion von vergifteten und krebserzeugenden Lebensmitteln.
    Auf der anderen Seite produziert die Gesellschaft des maxi-malen Konsums nicht perfekte Gebrauchsgegenstände, sondern leichtverderbliche Apparate (wer ein gutes Messer haben will, kauft es am besten in Afrika, in den Vereinigten Staaten zerbricht es nach einmaligem Gebrauch). Die »technological civilization«
    wird immer mehr zu einer Gesellschaft gebrauchter und nicht mehr brauchbarer Gegenstände – während es auf dem Lande zu Kahlschlägen kommt, zur Aufgabe von Kulturen, Verseuchung des Wassers, der Luft und des Bodens, Ausrottung ganzer Tierarten und so weiter, weshalb die Einführung, wenn nicht von Bohnen, so doch von neuen genuinen Elementen immer dringlicher wird.
    6. Das neue Nomadentum
    Was den Umstand betrifft, daß man heute zum Mond fl iegen kann, daß Fußballspiele per Satellit übertragen und neue Verbindungen im Labor erzeugt werden, so paßt er bestens zu der anderen, meist ignorierten Seite des Hochmittelalters um die Jahrtausendwende, das man zu Recht als die Zeit einer ersten sehr
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