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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt
Autoren: Umberto Eco
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ab, welchem fl iegenden Feudalherrn man sich anvertraut, und die »Gesandten des Herrn« (die auch mit Befugnis zu ideologischer Verdammung und Absolution ausgestattet sind) befreien die einen von Bannfl üchen, die für die anderen viel dogmatischer unaufhebbar sind.
    Man muß nicht erst nach Amerika gehen, um zu erkennen, wie sehr sich das Äußere etwa der Schalterhalle einer Bank in Mailand oder Turin verändert hat, oder um zu ermessen, wenn man zum Beispiel das Hauptgebäude der RAI in Rom zu betreten versucht, was für ein Kontrollsystem, verwaltet von inneren Sicherheitskräften, man heute passieren muß, bevor man den Fuß in eine überdurchschnittlich befestigte Burg setzen kann. Das Beispiel der Fortifi zierung und Prämilitarisierung großer Fabriken ist auch bei uns inzwischen Alltagserfahrung. Der gewöhnliche Polizist mag noch dienlich sein oder nicht, er bekräftigt die symbolische Präsenz der Zentralmacht, die manchmal auch wirksamer
    »weltlicher Arm« werden kann, doch meistens genügen die inneren Söldnertruppen. Wird eine Ketzerfestung dann allzu peinlich (wie die Mailänder Staatsuniversität mit ihrem »de facto« privile-gierten Freiraum), so greift die Zentralmacht ein, um die Autorität des Bildes vom Staat wiederherzustellen; doch in die Mailänder Architekturfakultät, die sich in eine Trutzburg verwandelt hatte, ist sie erst eingedrungen, als Feudalherren unterschiedlicher Provenienz, Konzerne, Zeitungen, örtliche Christdemokratie, beschlossen hatten, daß die feindliche Trutzburg geschleift werden müsse. Erst in diesem Moment bemerkte die Staatsmacht (oder tat so, als wäre sie zu der Überzeugung gelangt), daß die Situation seit Jahren illegal war, und erhob Anklage gegen den Fakultätsrat. Solange der Druck von Seiten großer Feudalherren noch nicht unerträglich geworden war, hatte man dieses kleine Lehen verirrter Tempelritter oder, wenn man so will, dieses Kloster wildgewordener Mönche ungeschoren gelassen, auf daß es sich selbst verwalte mit seinen Regeln und Fastengebräuchen oder Freizügigkeiten.**
    Vor einem Jahr hat der italienische Geograph Giuseppe Sacco das Thema der »Medievalisierung der Stadt« entfaltet: Eine Reihe von Minderheiten, die sich der Integration verweigern, schließen sich zu Clans zusammen, und jeder Clan verschanzt sich in einem Stadtteil, der dann zu seinem (oft unzugänglichen) Zentrum wird; so kommt es zur Bildung mittelalterlicher
    »Contraden« (Sacco lehrt in Siena). Auf den Clangeist rekurrie-ren andererseits auch die wohlhabenden Klassen, die sich, dem Naturmythos folgend, aus der Stadt ins Grüne zurückziehen, das heißt in Gartenviertel mit autonomen Supermärkten, wo sie andere Typen von Mikrogesellschaften bilden.
    Auch Sacco greift das Thema der Vietnamisierung der
    Territorien auf, die zu permanenten Spannungsgebieten werden, wenn der gesellschaftliche Konsens zerbricht: Eine der Reaktionen des Staates ist die Tendenz zur Dezentralisierung der großen Universitäten (eine Art »Entlaubung« von Studenten), um gefährliche Massenzusammenballungen zu verhindern. In dieser permanenten Bürgerkriegssituation, beherrscht von Zusammenstößen gegensätzlicher Minderheiten ohne Zentrum, nähern sich unsere Städte immer mehr jenem Zustand, den wir bereits in einigen an die Guerilla gewöhnten Städten Lateinamerikas fi nden können, »wo die Zerstückelung des sozialen Körpers treffend dadurch symbolisiert wird, daß die Pförtner der großen Apartmenthäuser gewöhnlich mit Maschinenpistolen bewaffnet sind«. In denselben Städten »muten die öffentlichen Gebäude, etwa die Präsidentenpaläste, bisweilen wie Festungen an, umgeben von einer Art Sperrzone, die sie vor Bazooka-Angriffen schützen soll«.
    Natürlich muß unsere Parallele zum Mittelalter so scharf gezogen werden, daß sie nicht die symmetrisch entgegengesetzten Bilder zu fürchten braucht. Denn während das andere Mittelalter einen engen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsrückgang, Verödung der Städte und Hungersnot auf dem Lande, Kommunikationssc hwierigkeiten, Verfall der römischen Straßen und Poststationen und Krise der zentralen Kontrolle sah, scheint sich heute (angesichts und im Vorfeld der Krise des zentralen Machtapparates) das Gegenteil abzuzeichnen: eine Bevölkerungsexplosion, die sich mit einer explosionsartigen Vermehrung der Kommunikations-und Verkehrsprozesse verbindet und somit die Städte nicht durch Zerstörung und Verödung unbewohnbar macht, sondern
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