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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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man so verschiedenartige Religionen, Regierungsformen, Clima's, ja Völker unter einen und denselben Gesichtspunct bringen soll. Das südliche Deutschland ist, in vieler Hinsicht, von dem nördlichen durchaus verschieden; die Handelsstädte haben nicht die geringste Aehnlichkeit mit denen, welche als Universitäten berühmt sind. Die kleineren Staaten sind von den beiden großen Monarchieen, Preußen und Oestreich, wesentlich abweichend.
    Deutschland war ein aristocratischer Bundesstaat. Dem Reiche fehlte es an einem gemeinschaftlichen Mittelpunct der Aufklärung und des Gemeingeistes. Es bildete keine zusammenhängende Nation; dem Bündel fehlte das Band. So nachtheilig diese Verschiedenheit Deutschlands seiner politischen Kraft war, so vortheilhaft war sie den Versuchen aller Gattung, denen sich Genie und Einbildungskraft überlassen mochten. Es herrschte eine Art sanfter friedlicher Anarchie darin, im Fach literarischer und metaphysischer Meinungen, wobei es jedermann frei stand, seine individuelle Ansicht der Dinge ganz nach Gefallen zu entwickeln.
    Da es keine Hauptstadt giebt, die der Sammelplatz der guten Gesellschaft von ganz Deutschland ist. so kann der gesellige Geist seine Gewalt nur wenig geltend machen, so fehlt es dem herrschenden Geschmack an Einfluß, und den Waffen des Spotts am Stachel. Der große Theil der Schriftsteller arbeitet in der Einsamkeit, oder in dem engen Kreise kleiner Umgebungen, über die sie die Herrschaft führen. Sie geben sich, jeder besonders, allem hin, was eine ungezügelte Einbildungskraft ihnen eingiebt; und wenn sich in Deutschland eine Spur der Modegewalt blicken läßt, so besteht sie bloß darin, daß sich jeder etwas damit weiß, sich von allen andern zu unterscheiden. In Frankreich ist es gerade das Gegentheil; da strebt alles nach dem Lobe, das Montesquieu Voltairen ertheilt, wenn er sagt: „Er hat mehr als irgend jemand, den Verstand, den jedermann hat.“ [Mutterwitz.] Die deutschen Schriftsteller würden sich eher noch entschließen, die Ausländer, als ihre Landsleute nachzuahmen.
    In der Literatur, wie in der Politik, haben überhaupt die Deutschen zu viel Achtung für das Ausland, und nicht genug Nationalvorurtheile. Bei Einzelnen ist die Verläugnung seiner selbst und die Achtung des Andern eine Tugend; nicht so beim Patriotismus der Nationen: dieser muß egoistisch seyn. Der Stolz der Engländer trägt zu ihrer politischen Existenz mächtig bei; die gute Meinung der Franzosen von sich hat von jeher ihr Uebergewicht in Europa verstärken helfen; der edle Stolz der Spanier machte sie einst zu Herren eines Theils des Erdkreises. Die Deutschen sind Sachsen, Preußen, Baiern, Oestreicher; aber der germanische Character, welcher die Stärke aller übrigen begründen sollte, ist zerstückelt, wie das Land selbst, was so verschiedene Herren zählt.
    Ich werde das südliche Deutschland besonders untersuchen, und das nördliche wieder besonders; für jetzt aber mich mit Bemerkungen begnügen, die der gesammten Nation gemein sind. Die Deutschen sind im Allgemeinen aufrichtig und treu; fast immer ist ihr Wort ihnen heilig, und der Betrug ihnen fremd. Sollte sich je die Falschheit in Deutschland einschleichen, so könnte es nur geschehen, um sich den Ausländern nachzubilden; um zu zeigen, daß sie eben so gewandt seyn können als jene; vor allem, um sich nicht von ihnen hinter's Licht führen zu lassen; bald aber würde der gesunde Verstand und das gute Herz die Deutschen auf die Ueberzeugung zurückbringen, daß man nur durch seine eigene Natur stark sey, und daß die Gewohnheit des Rechtlichen uns ganz und gar unfähig zur Arglist mache, selbst dann, wenn wir sie gebrauchen möchten. Um aus der Immoralität Vortheil zu ziehen, muß man in jeder Hinsicht leicht bewaffnet seyn, nicht aber ein Gewissen im Herzen, und Bedenklichkeiten im Kopfe führen, die uns auf halbem Wege aufhalten, und es uns um so mehr bereuen lassen, vom alten Wege abgewichen zu seyn, da es uns unmöglich wird, in der neuen Straße leicht vorzuschreiten.
    Es wäre, dünkt mich, leicht zu beweisen, daß, ohne Moral, alles in der Welt Ohngefähr und Finsterniß ist. Gleichwohl hat man oft bei den Völkern lateinischen Ursprungs eine Politik angetroffen, die mit seltener Gewandtheit die Kunst besaß und ausübte, sich von allen Pflichten loszumachen. Der deutschen Nation hingegen darf man es zum Ruhme nachsagen, daß es ihr beinahe an der Fähigkeit fehlt, die geschmeidig-dreist es versteht, jede
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