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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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gefunden. Im dritten fanden die Capitel über den Enthusiasmus, und vorzüglich der Schluß des Werks, nicht Gnade vor ihren Augen. Ich war erbötig, mich ihrem Richterstuhl auf eine negative Art zu unterwerfen, d.h. alles auszustreichen, ohne etwas an die Stelle zu setzen; aber die Gendarmerie, die mir der Polizeiminister über den Hals schickte, censirte mein Werk auf eine etwas handgreiflichere Art: sie zerstörte es.]

    Läßt es sich als möglich denken, daß die deutschen Schriftsteller, die gelehrtesten Männer, die denkendsten Köpfe Europa's, es nicht verdienen sollten, daß man ihrer Literatur und ihrer Philosophie einige Aufmerksamkeit schenke? Man wirft der ersten den Mangel an Geschmack, der zweiten den Ueberfluß an Unsinn vor. Gleichwohl könnte man darauf antworten: eine Literatur, die von unserem Gesetzbuche des guten Geschmacks nicht gebilligt werde, enthalte vielleicht neue Ideen, mit welchen wir, wenn wir sie auf unsere Weise ummodelten, die unsrige bereichern könnten. So danken wir den Griechen den Racine; so dankt Voltaire Shakespear'n mehrere seiner Trauerspiele. Die Dürre, die das Feld unserer Literatur bedroht, leitet zum Glauben, daß die Pflanze des französischen Geistes gegenwärtig eines stärkeren Nahrungssaftes bedürfe; und da die Feinheit des guten Welttons uns jederzeit vor gewissen Fehlern sicher stellen wird, so liegt uns allerdings viel daran, die Quelle großer Schönheiten wieder aufzufinden.
    Nachdem man, im Namen des guten Geschmacks, die deutsche Literatur von sich abgewehrt, glaubt man ebenfalls befugt zu seyn, im Namen der Vernunft ihre Philosophie von sich zu weisen. Geschmack und Vernunft sind Redensarten, die sich gut im Munde führen lassen, sey's auch nicht immer an der rechten Stelle: ist es aber (ehrlich gesprochen!) denkbar, daß Männer von unermeßlicher Gelehrsamkeit, und denen die französischen Werke nicht weniger bekannt sind, als uns, sich seit zwanzig Jahren mit nichts, als mit baarem Unsinn, befaßt haben sollten?
    In Jahrhunderten des Aberglaubens heißt leicht jede neue Meinung Ketzerei; so wie Jahrhunderte des Unglaubens sie eben so leicht mit dem Namen des Wahnsinns belegen. Im sechszehnten Jahrhundert wurde Galilei der Inquisition überantwortet, weil er behauptet hatte, die Erde drehe sich um ihre Achse; im achtzehnten hat es Männer gegeben, in deren Augen J. J. Rousseau ein schwärmerischer Andächtler war. Meinungen, die sich von dem herrschenden Zeitgeiste (welcher es sey,) entfernen, sind der Menge ein Aergerniß; Forschung und Prüfung führen allein zu der Liberalität des Urtheils, ohne welche es unmöglich ist, zu neuen Kenntnissen zu gelangen, oder nur die schon erreichten zu bewahren. Denn man unterwirft sich gewissen angenommenen Ideen nicht, wie man sich der Wahrheit, sondern wie man sich der Gewalt unterwirft; und so gewöhnt sich die menschliche Vernunft zur Knechtschaft, selbst in den Gefilden der Literatur und der Philosophie.
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Erster Theil.
I. Abtheilung. Deutschland und die Sitten der Deutschen.
Erstes Capitel. Ansicht von Deutschland.
    Große häufige Waldstücken deuten auf einen spätern Länderanbau; der langbewohnte südliche Boden trägt wenig Bäume, kein Schatten schützt gegen die senkrechten Strahlen der Sonne dieses durch Menschenhand nackte Erdreich. Deutschland trägt noch hier und da Spuren einer unbewohnten Natur. Von den Alpen bis zum Meer, zwischen dem Rhein und der Donau, findet man ein mit Eichen und Fichten bewachsenes Land, von majestätisch-schönen Flüssen durchschnitten, von Bergen mahlerischer Ansicht durchkreuzt. Aber unabsehbare Heiden, Sandschollen, oft vernachläßigte Wege, ein starres Clima erfüllen im ersten Augenblicke die Seele mit Traurigkeit; nur allmählig entdeckt man, und späterhin, was an diesen Aufenthalt fesseln kann. 
    Das südliche Deutschland ist sehr gut angebaut; dennoch stößt man auch in den schönsten Gegenden dieser Landes auf etwas Ernstes, welches eher an Arbeit als an Vergnügen, mehr an die Verdienste der Einwohner, als an die Reize der Natur erinnert.
    Die Trümmer alter Schlösser auf Berggipfeln, die Lehmhütten, die kleinen engen Fenster, der Schnee, der im Winter die unabsehbaren Ebenen bedeckt, machen einen peinlichen Eindruck. Eine Art von Schweigen in der Natur und in den Menschen, preßt das Herz des Reisenden zusammen. Es kommt ihm vor, als schleiche die Zeit hier langsamer als an andern Orten vorüber, als übereile sich der Wachsthum
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