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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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aber warlich, vor den Augen aller Welt strafen sie als Helden diese Besorgniß Lügen.
    Die Spanier, auf die man Southeys Vers anwenden kann:
Die tapfern Dulder sind es, die die Menschheit retten,
    hatten alles bis auf Cadix verloren, und würden sich doch eben so wenig unter das fremde Joch geschmiegt haben, als jetzt, wo sie an der Gränze der Pyrenäen stehn, im Schutze Wellingtons, mit dem Charakter des Alterthums, dem Geist der neuen Zeit. Zur Erreichung dieser großen Zwecke gehört aber auch eine Ausdauer, erhaben über jedes Ereigniß. Die Deutschen trifft oft der Vorwurf, daß sie vom Unglück erst sich Ueberzeugungen haben geben lassen. Individuen müssen sich dem Schicksal fügen lernen, Nationen niemals; denn sie sind es allein, die diesem Schicksal zu gebieten vermögen - ein fester Wille mehr, und das Elend wäre gebändigt.
    Die Unterwerfung eines Volkes unter ein andres läuft gegen die Natur. Wer würde jetzt noch an die Möglichkeit denken, Spanien, Rußland, England und Frankreich zu zerstückeln? Warum sollte dies nicht mit Deutschland der nämliche Fall seyn! Könnten die Deutschen sich nochmals unterjochen lassen, so würde ihr Unglück das Herz zerreißen, aber man würde immer in Versuchung seyn, ihnen zu sagen, wie Fräulein von Mancini zu Ludwig dem Vierzehnten: Sie sind König, Sire, und Sie weinen: – Ihr seyd ein Volk und weinet!!
    Das Gemälde einer Literatur und Philosophie scheint dem gegenwärtigen Augenblick wohl fremd zu seyn; doch ist es vielleicht dem armen, edlen Deutschland tröstlich, sich inmitten der Verwüstungen des Krieges an seine Geistesschätze zu erinnern. Vor drei Jahren nannte ich Preußen und die nordischen Länder, die es umgeben, das Vaterland des Denkens, in wie viel herrliche Thaten hat sich dies Denken nicht seitdem gestaltet; was die Philosophen in Systeme brachten, geht in Erfüllung, und der Seele Unabhängigkeit wird die der Staaten gründen!

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Allgemeine Bemerkungen.
    Der Ursprung der vornehmsten Völker Europa's läßt sich auf drei verschiedene Hauptstämme zurückbringen: auf den lateinischen, den deutschen und den slavischen Stamm. Von den Römern erhielten ihre Ausbildung und ihre Sprache die Italiener, Franzosen, Spanier und Portugiesen; die Deutschen, Schweizer, Engländer, Schweden, Dänen und Niederländer sind teutonischen Ursprungs; unter den slavischen Stammvölkern nehmen die Polen und Russen die ersten Stellen ein. Die Völkerschaften, deren Geistesentwickelung lateinischen Ursprungs ist, erhielten dadurch einen Vorsprung vor den übrigen, und haben im Ganzen von ihren Ahnherren, den Römern, eine scharfsinnige Gewandtheit in Führung der Welthändel geerbt. Der Gründung des Christenthums gingen bei ihnen bürgerliche Einrichtungen voraus, die sich aus der heidnischen Religion herschrieben; und als späterhin die nordischen Völker sie unterjocht hatten, nahmen eben diese Völker, in mancherlei Hinsicht, die Sitten der eroberten Länder an.
    Allerdings wurde diese allgemeine Bemerkung durch Clima, Regierungsart und Geschichtfolge jeder dieser Länder bestimmt und beschränkt. So hat z. B. die geistliche Gewalt in Italien unvertilgbare Spuren zurückgelassen; so sind die kriegerischen Gewohnheiten, der unternehmende Geist der Spanier, Folgen der langen Kriege dieses Volks mit den Arabern. Gleichwohl trägt, im Allgemeinen, derjenige Theil von Europa, dessen Sprachen von der lateinischen abstammen, und welcher frühzeitig in die römische Politik eingeweiht wurde, die Spur einer ältern, ursprünglich heidnischen Ausbildung. Man sieht ihm weniger, als den germanischen Stammvölkern, die Neigung zu abstracten Ideen an; er giebt sich williger irdischen Vortheilen, irdischen Vergnügungen hin; und vor allen verstehen sich diese Völker, wie ihre Vorbilder, die Römer, ausschließlich auf die Herrschkunst.
    Von jeher widerstanden die germanischen Völkerschaften dem Joche der Römer; sie erhielten ihre Ausbildung in spätern Zeiten, und allein vom Christenthum; gingen unmittelbar von einer Art von Wildheit zur christlichen Geselligkeit über; in die Ritterzeiten, in den Geist des Mittelalters fallen ihre lebendigsten Erinnerungen; und haben gleich die Gelehrten dieser Länder, mehr noch als die von Rom abstammenden Völker, sich die griechischen und römischen Schriftsteller eigen gemacht, so athmet doch in den deutschen Werken mehr ein natürlich-alter Urgeist, als der Geist des Alterthums. Ihre Einbildungskraft
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