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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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Schuld geben kann, Frankreich nicht zu lieben. Nur zu sehr habe ich gezeigt, wie sehnsuchtsvoll ich an einem Aufenthalte hänge, wo ich noch so viel Gegenstände meiner Neigung zähle, und die so liebenswürdig finde, die ich liebe. Aber folgt denn aus dieser vielleicht zu lebendigen Anhänglichkeit an ein so glanzreiches Land und seine geistvollen Bewohner, daß es mir nicht gestattet seyn solle, auch England zu bewundern? Wir sah'n es, ritterlich gewappnet zur Vertheidigung des geselligen Zustandes, Europa zehn Jahre hindurch gegen Anarchie, zehn andre gegen Despotismus schützen. Seine glückliche Verfassung war, beim Beginn der Revolution, das Ziel des Hoffens und Strebens der Franzosen – mein Sinn ist auf dem Punkte stehen geblieben, wo ihrer damals stand.
    Bei meiner Rückkehr in die Besitzung meines Vaters [Coppet in der Nähe von Genf. A. d. Uebers.] untersagte mir der Präfekt, mich weiter als vier Stunden im Umkreise von dort zu entfernen. Ich erlaubte mir eines Tages bei einer einfachen Spazierfahrt zehn Stunden zurückzulegen; augenblicklich waren die Gensd'armes hinter mir her, den Postmeistern wurde anbefohlen, mir keine Pferde zu geben, man hätte denken sollen, das Wohl des Staates hänge von einer so gebrechlichen Existenz, als die mir verstattete, ab. Ich suchte mich jedoch auch in diese Gefangenschaft in ihrer ganzen Härte zu schicken, aber der letzte Schlag, der mich traf, machte mir sie vollends unerträglich. Einige meiner Freunde wurden ins Exil geschickt, weil sie die Großmuth gehabt hatten, mich zu besuchen; das war zu viel – die Pest des Unglücks an sich tragen, denen nicht nahe treten zu dürfen, die man liebt, fürchten zu müssen, ihnen zu schreiben, ihren Namen auszusprechen, bald sich als Gegenstand der zärtlichen Anhänglichkeit von Personen zu sehn, für die man darum zittern muß, und bald gekränkt mit den gesuchtesten Gemeinheiten, die nur Sklavenfurcht veranlassen kann, das war eine Lage, der man sich entziehen mußte, wollte man noch leben.
    Man sagte mir, um meinen Kummer zu mindern, daß diese unaufhörlichen Verfolgungen ein Beweis des Gewichts wären, das man auf meine Person legte; ich hätte wohl erwiedern können:

    Nicht dieser Ehre bin ich werth, nicht der Entwürdigung,

aber ich gab diesen Tröstungen meiner Eigenliebe kein Gehör, denn ich wußte zu gut, daß, vom Größten bis zum Niedrigsten, es jetzt in Frankreich keinen giebt, der nicht gewürdigt werden könnte, elend gemacht zu werden. Man quälte mich in allen Verhältnissen meines Lebens, bei allen empfindlichen Seiten meines Charakters, selbst die Gewalt gab sich herablassend die Mühe, mich genauer kennen zu lernen, um mir gründlicheres Leiden zu bereiten. Da ich diese Gewalt nicht gradehin durch das Opfer meines Talents befriedigen konnte, und entschlossen war, es ihr nicht dienstbar zu machen, so glaubte ich, tief im Innern zu fühlen, was in dieser Lage mein Vater mir gerathen haben würde, und reißte ab.
    Es ist, glaube ich, von Wichtigkeit für mich, das Publikum mit diesem verleumdeten, mit diesem Buch bekannt zu machen, das so vieler Leiden Quelle für mich wurde, und obgleich General Savary mir in seinem Briefe erklärt hat, daß dies Werk kein Französisches sey, so will ich, mit eben der Ueberzeugung, mit welcher ich ihn nicht als Repräsentanten von Frankreich anerkenne, den Franzosen, wie ich sie sonst gekannt habe, eine Schrift vertrauensvoll überreichen, in welcher ich, nach den mir verliehenen Kräften, gesucht habe, den Ruhm der Arbeiten des menschlichen Geistes zu erheben.
    Deutschland kann, seiner geographischen Lage nach, für das Herz von Europa gelten, und der große Bund des Continents allein durch dieses Landes Unabhängigkeit die eigne wiedererlangen. Verschiedenheit der Sprachen, natürliche Gränzen, gemeinschaftliche Erinnerungen aus der Geschichte der Vorzeit, alles dies trägt dazu bei, um unter den Menschen die großen Individuen zu bilden, die man Nationen nennt; gewisse Verhältnisse sind nöthig zu ihrer Existenz, gewisse Eigenschaften, sie von einander zu unterscheiden; würde Deutschland mit Frankreich vereinigt, so folgte daraus auch die Vereinigung Frankreichs mit Deutschland; die Franzosen von Hamburg und die von Rom würden stufenweise den Charakter der Zeitgenossen Heinrichs des Vierten entstellen, die Besiegten auf die Länge die Sieger umbilden, und am Ende alle gleich dabei verlieren.
    Ich habe in meinem Werke behauptet, die Deutschen seyen keine Nation,
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