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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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oder durch jene Instrumente unterbrochen wird, welche der menschlichen Stimme gleichen? Haben sie das Geheimniß unseres Daseyns empfunden in jener Rührung, welche unsere beiden Naturen vereinigt, und die Sinne und das Gemüth in denselben Genuß verschmilzt? Haben ihre Herzensschläge den Rythmus der Musik begleitet? Hat eine zaubervolle Bewegung sie jene Thränen gelehrt, die nichts Persönliches haben, die kein Mitleid fordern, wohl aber uns befreien von dem unruhigen Schmerz, den das bedürfnis zu bewundern und zu lieben, in uns anregt?
    Der Geschmack an Schauspielen ist allgemein; denn die meisten Menschen haben mehr Einbildungskraft, als sie glauben, und was sie als reizendes Vergnügen betrachten, — als eine Art von Schwachheit, die mit der Kindlichkeit in Verbindung steht — ist oft das Beste in ihnen: in Gegenwart der Erdichtungen sind sie wahr, natürlich, gerührt, während sie in der Welt von Verstellung, Berechnung und Eitelkeit in Worten, Gefühlen und Handlungen geleitet werden. Allein glauben denn diese Menschen, für welche Darstellung der tiefsten Gefühle nichts weiter ist, als eine belustigende Zerstreuung — glauben denn diese alles, was eine wahrhaft schöne Tragödie einflößt, empfunden zu haben? Haben sie auch nur eine Ahnung von der köstlichen Unruhe, in welche Leidenschaften setzen, die durch die Poesie geläutert sind? Ach! Wie viel Freuden gewähren uns Dichtungen! Sie ziehen uns an, ohne in uns weder Gewissensbisse noch Furcht anzuregen, und die Empfindsamkeit, die sie entwickeln, hat nicht jene schmerzhafte Herbe, die von allen wahren Empfindungen beinahe unzertrennlich ist!
    Welche Magie borgt nicht die Sprache der Liebe von der Poesie und den schönen Künsten? Wie schön ist es, mit dem Herzen und mit dem Gedanken zu lieben! und so auf tausendfache Art ein Gefühl zu verändern, das sich durch Ein Wort ausdrücken läßt, und gegen das alle Worte der Welt doch nur eine Erbärmlichkeit sind! sich zu durchdringen mit den Meisterstücken der Einbildungskraft, welche sämmtlich die Liebe heben, und in den Wundern der Natur und des Genies einige Ausdrücke mehr zur Offenbarung des eigenen Herzens zu finden!
    Was können die Männer empfunden haben, die die Frau, welche sie liebten, nicht zugleich bewunderten, deren Gefühl nicht ein Hymnus des Herzens war, für die Anmuth und Schönheit nicht das himmlische Bild der rührendsten Zuneigungen waren? Was das Weib, das in dem Gegenstande ihrer Wahl nicht einen erhabenen Beschützer, einen starken und sanften Führer, erkannte, dessen Blick zugleich gebietet und fleht, und der auf seinen Knieen das Recht empfängt, über unser Schicksal zu verfügen? Welche unsägliche Entzückungen mischen nicht ernste Gedanken in die allerlebhaftesten Eindrücke! Die Zärtlichkeit des Freundes, dem unser Glück anvertraut ist, soll uns am Rande des Grabes wie in den schönen Tagen der Jugend beseligen; und alles, was das Daseyn Feierliches hat, verwandelt sich in köstliche Rührung, wenn die Liebe, wie bei den Alten, die Flamme des Lebens anzuzünden und auszulöschen berufen ist.
    Wenn der Enthusiasmus die Seele mit Seligkeit berauscht, so hält er durch eigenthümliche Wunderkraft auch im Unglück empor, er läßt, ich weiß nicht welche lichte und tiefe Spur zurück, die selbst der Abwesenheit nicht gestattet, uns aus dem Herzen unserer Freunde zu vertilgen. Uns selbst dient er zum Zufluchtsort gegen die bittersten Leiden, und von allen Gefühlen ist er das einzige, welches beruhigt, ohne zu erkälten.
    Die einfachsten Neigungen, die, welche alle Herzen empfinden zu können glauben, die mütterliche Liebe, die kindliche Liebe — kann man sich wohl schmeicheln, sie in ihrer ganzen Fülle gekannt zu haben, wenn sie ohne einen Zusatz von Enthusiasmus geblieben sind? Wie kann man den Sohn lieben, ohne zu denken, er werde edel und stolz seyn, ohne ihm den Ruhm zu wünschen, der sein Leben vervielfältigen, der denselben Namen, den unser Herz wiederholt, von allen Seiten her ertönen lassen wird? Warum sollte man nicht die Talente eines Sohnes, den Zauber einer Tochter, mit Entzücken genießen? Welche auffallende Undankbarkeit gegen die Gottheit würde in der Gleichgültigkeit gegen ihre Gaben liegen! Stammen sie denn nicht vom Himmel, da sie es uns leichter machen, dem von uns geliebten Gegenstande zu gefallen?
    Und wenn irgend ein Unglück unserem Kinde solche Vorzüge raubte, so würde dasselbe Gefühl eine andere Gestalt annehmen; es würde in uns
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