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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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und des Gedankens zu genießen.
    Es läßt sich nicht läugnen, daß die Angelegenheiten der Persönlichkeit den Menschen von allen Seiten drängen; selbst in dem, was gemein ist, liegt ein gewisser Genuß, für welchen Viele große Empfänglichkeit haben, und man findet die Spuren unedler Neigungen oft unter dem Anschein der ausgezeichnetsten Manieren wieder. Die größten Talente schützen nicht immer gegen diese herabgesetzte Natur, welche ganz leise über das Dasevn der Menschen gebietet, und sie ihr Glück in Dingen finden läßt, die unter ihrer Würde sind. Nur der Enthusiasmus kann die Neigung zur Selbstheit aufwiegen, und gerade an diesem Zeichen soll man die unsterblichen Geschöpfe erkennen. Sprecht ihr mit Jemand über Gegenstände, die einer heiligen Achtung würdig sind: so bemerkt ihr sogleich, ob er ein edles Schaudern empfindet, ob sein Herz für erhabene Gesinnungen schlägt, ob er mit dem anderen Leben ein Bündniß geschlossen hat, oder ob er nur das bischen Verstand besitzt, was zur Leitung des Mechanismus seines Daseyns dient. Und was ist denn das menschliche Wesen, wenn man in ihm nichts wahrnimmt, als eine Klugheit, die den eigenen Vortheil zum Gegenstande hat? Noch besser ist der Instinkt der Thiere; denn er ist bisweilen großmüthig und stolz. Gerade ist die Berechnung, welche das Attribut der Vernunft zu seyn scheint, mach zuletzt unfähig für die erste aller Tugenden, für die Aufopferung.
    Unter Solchen, welche die exaltirten Gefühle lächerlich zu machen suchen, haben Mehrere, ohne daß sie es wissen, viel Empfänglichkeit dafür. Der Krieg, selbst wenn er mit persönlichen Absichten unternommen wird, gewährt immer einige von den Genüssen des Enthusiasmus. Die Berauschung eines Schlachttages, das ungemeine Vergnügen, sich dem Tode zu weihen, wenn unsere ganze Natur uns zur Liebe treibt: dies muß eben so dem Enthusiasmus zugeschrieben werden. Die militairische Musik, das Wiehern der Rosse, die Explosionen des Pulvers, diese Menge von Soldaten in dieselben Farben gekleidet, von denselben Verlangen beseelt, um dieselben Banner versammelt, regt etwas an, was über den erhaltenden Trieb des Daseyns triumphirt; und dieser Genuß ist so stark, daß weder Beschwerden, noch Leiden, noch Gefahren, die Gemüther davon trennen können. Wer dies Leben empfunden hat, liebt es ausschließend. Das erreichte Ziel befriedigt niemals; die Handlung des Wagens wird nothwendig, und sie ist es, die den Enthusiasmus in das Blut treibt; und wiewohl er auf dem Grunde des Gemüths viel reiner ist, so ist er doch selbst dann noch edel, wenn er zu einem beinahe physischen Antriebe hat werden können.
    Man beschuldigt oft den aufrichtigen Enthusiasmus dessen, was nur dem affectirten zum Vorwurf gemacht werden kann; je schöner ein Gefühl ist, desto verhaßter wird die falsche Nachahmung desselben. Das größte Verbrechen ist, sich der Bewunderung der Menschen ungerechter Weise zu bemächtigen; denn man vertrocknet in ihnen die Quelle der guten Bewegungen, indem man sie nöthigt, darüber zu erröthen, daß sie dergleichen empfunden haben. Außerdem ist nichts peinlicher, als die falschen Töne, welche aus dem Heiligthum des Gemüths selbst hervorzugehen scheinen. Mag sich die Eitelkeit alles dessen bemächtigen, was äußerlich ist; es wird daraus kein anderes Uebel entstehen, als das der Anmaßung und des Unglimpfs. Wenn sie sich aber herausnimmt, die innigsten Gefühle nachzumachen: so scheint es, als verletze sie den letzten Zufluchtsort, wo man ihr zu entkommen glaubte. Es ist indeß nicht schwer, die Aufrichtigkeit im Enthusiasmus zu erkennen. Dies ist eine so reine Melodie, daß der geringste Miston den ganzen Zauber derselben zerstört; ein Wort, ein Ton, ein Blick drücken die conzentrirte Bewegung aus, welche einem ganzen Leben entspricht. Leute, die man in der Welt strenge nennt, haben sehr oft etwas Exaltirtes an sich. Die Kraft, welche Andere unterwirft, kann nur ein kalter Calcul seyn; die Kraft hingegen, welche über sich selbst triumphirt, ist immer durch ein großmüthiges Gefühl eingehaucht.
    So viel fehlt daran, daß man das Uebermaaß des Enthusiasmus zu fürchten habe, das er vielleicht im Allgemeinen zur Contemplation hinreicht, welche der Thatkraft schadet. Die Deutschen geben den Beweis davon, keine Nation ist fähiger zu fühlen und zu denken; aber wenn der Augenblick eintritt, wo gehandelt werden muß, so schadet der Umfang der Begriffe der Entschiedenheit des Charakters.
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