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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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zarte Weise an, daß er dies oder das Interesse habe.
    Die ehrlichsten Menschen machen sich alsdann ein System, welches ihre Trägheit in Würde verwandelt; sie sagen, daß man gegen nichts nichts ausrichten kann; sie wiederholen mit dem Einsiedler von Prag im Shakespeare, daß das, was ist, ist, und daß die Theorieen keinen Einfluß auf die Welt haben. Zuletzt machen sie wahr, was sie sagen; denn mit einer solchen Denkungsweise kann man nicht auf Andere wirken, und wenn der Verstand allein darin bestände, das Für und Wider von Allem zu sehen, so würden die Gegenstände um uns her uns bald so umtanzen, daß es unmöglich würde, sicheren Schritts auf einem wankenden Boden zu gehen.
    Man sieht sogar junge Leute, welche, voll von dem Ehrgeiz, in Hinsicht des Enthusiasmus enttäuscht zu scheinen, eine erkünstelte Verachtung für exaltirte Gefühle zur Schau tragen. Sie glauben, eine frühreife Kraft der Vernunft zu zeigen; aber sie rühmen sich nur eines frühzeitigen Verfalls und sind in Hinsicht des Talents dem Greise ähnlich, welcher fragte: ob man denn noch Liebe fühlte? Der von der Einbildungskraft entblößte Verstand möchte selbst die Natur abschätzig behandeln, wenn sie nur nicht stärker wäre, als er.
    Man thut ganz unstreitig Denjenigen, welche von edlen Wünschen belebt sind, sehr wehe, wenn man ihnen unabläßig alle die Argumente entgegen stellt, die selbst die vertrauensvollste Hoffnung verwirren möchten. Indeß der gute Glauben läßt sich nicht ermüden; denn er beschäftiget sich nicht mit dem, was die Dinge scheinen, sondern mit dem, was sie sind. Von welchem Dunstkreise man auch umgeben sey, nie ist ein aufrichtiges Wort verloren gegangen, und wenn es für den glücklichen Erfolg nur Einen Tag giebt, so giebt es Jahrhunderte für das Gute, was die Wahrheit wirken kann.
    Die Einwohner von Mexiko tragen, indem sie die Landstraße entlang gehen, Jeder einen kleinen Stein zu der großen Pyramide, welche sie in der Mitte ihrer Gegend errichten. Keiner wird ihr seinen Namen geben; aber alle werden zu diesem Denkmal beigetragen haben, das sie Alle überleben soll.
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Zwölftes und letztes Capitel. Einfluß des Enthusiasmus auf das Wohlseyn.
    Es ist Zeit, von der Glückseligkeit zu reden! Ich habe dies Wort mit großer Geflissenheit zurückgeschoben, weil man besonders seit einem Jahrhundert, die Glückseligkeit in so grobe Freuden, in ein so selbstisches Leben, in so beengte Berechnungen gesetzt hat, daß selbst ihr Bild entweiht worden ist. Aber man kann gleichwohl mit Vertrauen sagen, von allen Gefühlen sey der Enthusiasmus dasjenige, was die meiste Glückseligkeit gewährt, das einzige, das sie wahrhaft gewährt, das einzige, welches uns in Stand setzt, das menschliche Geschick in allen den Lagen zu ertragen, worein uns das Schicksal versetzen kann.
    Vergebens will man sich auf blos materielle Genüsse beschränken; das Gemüth bricht allenthalben hervor. Stolz, Ehrgeiz, Eigenliebe, dies alles rührt noch vom Gemüthe her, wiewohl ein Gifthauch darin weht. Welches jammervolle Daseyn, das diejenigen haben, die sich selbst beinahe eben so sehr, wie Andere, belügend, alle großmüthigen Bewegungen, welche in ihrem Herzen aufkeimen, wie eine Krankheit der Einbildungskraft betrachten, die man in der freien Luft zerstreuen muß! Welche armselige Existenz, die so viele Andere führen, die sich damit begnügen, nichts Böses zu thun, und die Quelle, aus welcher alle schönen Handlungen und alle großen Gedanken herstammen, als Narrheit behandeln! Aus Eitelkeit ziehen sie sich in eine träge Mittelmäßigkeit zurück, die sie dem äußeren Lichte hätten zugänglich machen können; sie verurtheilen sich selbst zu jener Eintönigkeit der Ideen, zu einer Kälte des Gefühls, worin die Tage dahinschwinden, ohne Früchte, ohne Fortschritte, ohne Zurückerinnerungen; und wenn die Zeit nicht ihre Züge furchte, welche Spuren würden ihnen von dem Durchgange derselben geblieben seyn? Müßte man nicht alt werden und sterben, welcher ernste Gedanke würde jemals durch ihren Kopf gehen?
    Gewisse Schwätzer sagen, der Enthusiasmus mache das gemeine Leben unschmackhaft; und da man sich einmal nicht immer in dieser Stimmung befinde, so sey es besser, sie niemals kennen zulernen. Wohlan, warum haben sie sich denn gefallen lassen, jung zu seyn, und selbst zu leben, da dies doch nicht immer dauern kann? Warum haben sie — wofern ihnen jemals dergleichen begegnet seyn sollte — geliebt, da
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