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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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der Tod sie trennen konnte von den Gegenständen ihres Wohlwollens? Welche traurige Wirthschaft, die man mit dem Gemüthe treibt! Es ist uns gegeben worden, damit es entwickelt, vervollkommnet und zu einem edlen Zweck sogar verschwendet werde. JJe mehr man das Leben betäubt, je mehr man sich dem blos materiellen Daseyn nähert, desto mehr, sagt man, werde die Macht zu leiden vermindert. Dies Argument verführt sehr viele Menschen. Eigentlich besteht die Kunst darin, so wenig als möglich zu leben. Indeß liegt selbst in der Herabsetzung ein Schmerz, über welchen man sich keine Rechenschaft ablegt und der unabläßig im Geheimen verfolgt. Die Langeweile, die Schaam und selbst die Beschwerde, welche er verursacht, werden durch die Eitelkeit in Frechheit und Abschätzigkeit verwandelt; aber sehr selten befindet man sich in dieser dürftigen und bedrängten Lebensweise wohl, die alle Hilfsquellen abschneidet, wenn wir vom äußeren Glück verlassen werden. Der Mensch hat ein Gewissen für das Schöne, wie für das Gute, und wenn die Abweichung von dem letztem ihm Gewissensbisse verursacht, so giebt die Beraubung des erstern ihm das Gefühl der Leere.
    Man beschuldigt den Enthusiasmus der Flüchtigkeit. Das Daseyn würde freilich allzu viel Glückseligkeit in sich tragen, wenn man so schöne Rührungen festhalten könnte; aber weil sie sich leicht zerstreuen, so muß man sie zu Rathe zu halten suchen. Poesie und schöne Künste dienen im Menschen zur Entwickelung dieser Glückseligkeit edlen Ursprunges, welche matte Herzen auffrischt und an die Stelle einer unruhigen Lebenssattheit das habituelle Gefühl der göttlichen Harmonie bringt, von welcher die Natur und wir einen Theil ausmachen. Jede Pflicht, jede Freude, jedes Gefühl erhält von dem Enthusiasmus, ich weiß nicht welchen Schein der Uebereinstimmung mit dem reinen Zauber der Wahrheit.
    Fordern es die Umstände, so eilen alle Menschen ihrem Lande zu Hülfe; aber sind sie von dem Enthusiasmus des Vaterlandes begeistert — von welcher schönen Bewegung fühlen sie sich dann ergriffen! Der Boden, der sie entstehen gesehen, das Land ihrer Ahnen, das Meer, welches die Felsen bespült [Es ist nicht schwer zu sehen, daß ich durch diese Phrase und die folgenden England zu bezeichnen suchte. In Wahrheit, ich hätte von dem Kriege nicht mit Enthusiasmus reden können, ohne ihn mir als den Krieg einer freien Nation zu denken, die für ihre Uabhängigkeit kämpft.] , lange Zurückerinnerungen, eine lange Hoffnung, alles um sie her sieht aus wie ein Aufruf zum Kampf, und jeder Herzensschlag ist ein Gedanke der Liebe und des Stolzes. Gott hat dies Vaterland gegeben allen Männern, die es vertheidigen können, allen Weibern, die, um seinetwillen, sich die Gefahren ihrer Brüder, ihrer Gatten, ihrer Söhne gefallen lassen. Bei der Annäherung von Gefahren, die es bedrohen, beschleunigt ein Fieber, ohne Schauder, wie ohne Wahnsinn, den Lauf des Blutes in den Adern; in einem solchen Kampf kommt jede Anstrengung aus der tiefsten inneren Andacht. Auf den Gesichtern dieser hochherzigen Bürger bemerkte man Anfangs nichts, als Ruhe; in ihren Rührungen ist allzu viel Würde, als daß sie äußerlich sichtbar werden sollten. Wenn aber das Signal ertönt, wenn die National-Fahne in den Lüften flattert: so sieht man diese sonst so sanften Blicke, die es beim Anblick des Unglücks immer wieder werden, plötzlich von einem heiligen und furchtbaren Willen belebt. Weder Verwundungen noch selbst der Tod machen erbeben. Es giebt keinen Schmerz, es giebt keinen Tod mehr; alles wird zu einem Opfer für den Gott der Heerschaaren. In die verzweifeltsten Entschlüsse mischt sich keine Reue, keine Ungewißheit; und wenn das Herz ganz in Dem ist, was es will, dann genießt man auf eine bewundernswürdige Weise des Lebens. Sobald sich der Mensch in seinem Innern theilt, fühlt er das Leben nur als ein Uebel; und wenn der Enthusiasmus von allen Gefühlen das ist, das am meisten beseligt: so rührt dies daher, daß er mehr, als jedes andere, alle Kräfte des Gemüths in einem Flammenpunkt vereinigt. Vielen Schriftstellern erscheinen die Arbeiten des Geistes als eine beinahe mechanische Beschäftigung, die ihr Leben ungefähr eben so ausfüllt. wie jede andere Profession es ausfüllen würde; ja, die letztere hat wohl gar in ihren Augen den einen oder den andern Vorzug. Aber haben dergleichen Menschen eine Idee von dem erhabenen Glück des Gedankens, wenn der Enthusiasmus ihn belebt? Wissen sie, von
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