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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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welcher Hoffnung man sich durchdrungen fühlt, wenn man durch die Gabe der Beredsamkeit eine tiefe Wahrheit zu offenbaren glaubt, eine Wahrheit, welche ein edles Band zwischen uns und allen den Seelen stiftet, welche mit der unsrigen gleich empfinden?
    Schriftsteller ohne Enthusiasmus kennen auf der literarischen Bahn nur Critiken, Nebenbuhlereien, Eifersüchtelei, kurz Alles, was die Ruhe bedroht, wenn man sich in die Leidenschaften der Menschen mischt. Dergleichen Angriffe und Ungerechtigkeiten thun bisweilen wehe; aber wie könnte der wahre innige Genuß des Talents dadurch gestört werden? Wenn ein Buch erscheint — wie viel glückliche Augenblicke hat es alsdann schon Demjenigen gewährt, der es nach seinem Herzen und als eine Handlung seines Gottesdienstes schrieb? Wie viel sanfte Thränen hat er nicht in der Einsamkeit über die Wunder des Lebens vergossen: über die Liebe, den Ruhm, die Religion? Und hat er nicht in seinen Träumereien die Lust genossen, wie der Vogel, die Wellen, wie ein lechzender Jäger, die Blüthen, wie ein Liebender, der die Düfte einzusaugen glaubt, von welchem seine Geliebte umgeben ist? In der Welt fühlt man sich oft niedergedrückt durch seine Fähigkeiten; man leidet durch den Gedanken, der Einzige seiner Gattung unter so Vielen zu seyn, die so wohlfeil leben. Allein das schöpferische Talent reicht, wenigstens auf Augenblicke, für alle unsere Wünsche aus; es hat seine Reichthümer und seine Kronen; es bietet unseren Blicken die lichten und reinen Bilder der idealischen Welt dar, und seine Macht reicht bisweilen soweit, daß es in unserem Herzen die Stimme eines geliebten Gegenstandes ertönen macht.
    Glauben Diejenigen, die nicht mit einer enthusiastischen Einbildungskraft begabt sind, die Erde zu kennen? glauben sie gereiset zu haben? — Schlägt ihr Herz für das Echo der Berge? Hat die Luft des Süden sie mit ihrer holden Abspannung berauscht? Begreifen sie die Verschiedenheit der Länder, den Accent und Charakter der fremden Sprachen? Enthüllen ihnen Volksgesänge und Nationaltänze die Sitten und den Genius der Gegend? Reicht eine einzige Sensation hin, um in ihnen eine Menge Zurückerinnerungen zu wecken?
    Kann die Natur von Menschen ohne Enthusiasmus gefühlt werden? — Haben sie jemals mit ihr von ihren frostigen Angelegenheiten, ihren elenden Wünschen reden können? Was würden Meer und Sterne den kleinlichen Eitelkeiten jedes Menschen für jeden Tag antworten? Aber wenn unser Gemüth bewegt ist, wenn es einen Gott im Universum sucht, wenn es sogar noch Ruhm und Liebe will — dann sprechen die Wolken zu ihm, dann lassen reißende Wellen sich befragen, und das Gesäusel im Dornenstrauch theilt uns etwas von dem Gegenstande unserer Liebe mit.
    Die Menschen ohne Enthusiasmus glauben die Genüsse zu schmecken, welche die Künste gewähren. Sie lieben die Eleganz des Luxus; sie wollen sich auf Musik und Malerei verstehen, um darüber mit Anmuth, mit Geschmack und selbst mit dem Tone der Ueberlegenheit zu sprechen, welcher dem Weltmann zukommt, wenn von der Einbildungskraft oder der Natur die Rede ist. Allein was bedeuten alle diese dürftigen Freuden neben dem wahren Enthusiasmus? Betrachtet man den Blick der Niobe, dieses ruhigen und fürchterlichen Schmerzes, welcher die Götter der Eifersucht über das Glück einer Mutter anzuklagen scheint — welche Bewegung erbebt sich in unserem Busen! Welchen Trost läßt nicht der Anblick der Schönheit empfinden; denn auch Schönheit ist Gemüth, und die Bewunderung, welche sie einflößt, ist edel und rein! Bedarf es um den Apollo zu bewundern, nicht des Gefühls eines Stolzes, der alle Schlangen der Erde unter die Füße tritt? Muß man nicht Christ seyn, um die Gesichtsbildung der Jungsfauen Raphaels und des H. Hieronymus von Dominichino zu durchdringen? um denselben Ausdruck in der bezaubernden Anmuth und in einem niedergeschlagenen Gesichte, in der strahlenden Jugend und in den entstellten Zügen wiederzufinden? denselben Ausdruck, der von dem Gemüthe ausgeht, und gleich einem himmlischen Strahle, die Morgenröthe des Lebens und die Finsternisse des vorgeschrittenen Alters durchläuft?
    Giebt es Musik für Die, welche des Enthusiasmus unfähig sind? Eine gewisse Gewohnheit macht ihnen die harmonischen Töne nothwendig, und sie genießen dieselben, wie den Saft der Früchte und die Ausschmückung der Farben. Aber erklang ihr ganzes Wesen, wie eine Lyra, wenn in der Mitternacht das Schweigen plötzlich durch Gesänge,
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